Klosterleben heute
AIM Bulletin heft 126 (2024)
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Jean-Pierre Longeat OSB
Lectio divina
„Geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen, dann komm und folge mir nach!“ (Mt 19,21)
Jean-Pierre Longeat OSB
Perspektiven
Klosterleben heute –Antworten auf den Fragebogen der AIM
Internationales Team der AIM
Versuch einer Synthese der Antworten nauf den Fragebogen
Internationales Team der AIM
Berichte
Reise nach Kanada und in die USA
Jean-Pierre Longeat OSB
Reflexion
Versuch einer gemeinsamen Vision
Jeremy Driscoll OSB
Zeugnis
Leben in einer multikulturellen Gemeinschaft
Paul Mark Schwan OCSO
Kunst and Litugie
Die abenteuerliche Reise des Kapitelsaals von Santa Maria de Ovila
Thomas X. Davis OCSO
Zeugen für das Monastische Leben
Sr. Judith Ann Heble OSB, zweite Moderatorin der Communio Internationalis Benedictinarum (CIB) (1941-2023)
Maire Hickey OSB
Äbtissin Lazare Hélène de Rodorel de Seilhac OSB (1928-2023)
Benediktinerinnen von Saint-Thierry
Leitartikel
Nach der Veröffentlichung von „Spiegel des Klosterlebens für die Gegenwart“ (AIM-Bulletin 116/2019) und „Der monastische Traum“ (121/2021) wollte das Internationale Team der AIM eine umfassende Befragung von Klosterleitern durchführen, um ihre derzeitigen Hauptanliegen, ihre Prioritäten, die Hilfe, die sie von der AIM erwarten, und einige gelungene Beispiele für neuere Klosterprojekt zu sammeln.
Unter den Befragten zeigten sich einige vom Fragebogen der AIM überrascht: Die „Allianz für Internationales Mönchtum“ wird oft als bloße Finanzierungsquelle für Projekte gesehen, die von jungen Gemeinschaften in Afrika, Asien, Lateinamerika, Ozeanien und Osteuropa an sie herangetragen werden. Es sei jedoch daran erinnert, dass AIM gemäß ihrer Satzung, die vom Kongress der Benediktineräbte 2004 genehmigt wurde, auch die Aufgabe hat, über den Sinn des monastischen Lebens nachzudenken und seine Besonderheit in den verschiedenen Kulturen hervorzuheben (Art. 6). Die AIM ist daher stets darum bemüht, das Bewusstsein für den Wert des Mönchtums in den Gemeinschaften selbst, in der Kirche und in der Gesellschaft zu fördern (Art. 7).
In diesem Sinne kann man manchmal sagen, dass die AIM ein Dokumentationszentrum für die Entwicklungen des monastischen Lebens in der Welt ist und dabei helfen kann, die Fragen und die wichtigsten Herausforderungen wiederzugeben. Es muss auch betont werden, dass AIM zusammen mit DIM-MID (Intermonastischer Dialog) der einzige Ort ist, an dem die drei Orden, die der Regel des heiligen Benedikt folgen, sowohl Männer- als auch Frauengemeinschaften zusammenarbeiten. Die AIM arbeitet auch in enger Verbindung mit monastischen Vereinigungen auf der ganzen Welt: Dies ermöglicht ihr ein wertvolles Verständnis dessen, was in diesen Regionen gelebt wird, und beleuchtet die verschiedenen Arten, wie die Realitäten des monastischen Lebens heute angegangen werden.
Aus all diesen Gründen kommt AIM zunehmend auch eine prophetischen Mission zu, die weit davon entfernt ist, mit den Aufgaben der Orden und Kongregationen zu konkurrieren, sondern im Gegenteil nur versucht, ihnen auf ergänzende Weise zu helfen, besser auf den Ruf Christi im monastischen Leben zu antworten.
Neben den Antworten auf unseren Fragebogen finden Sie im neuen Bulletin einen Bericht über eine Reise zu Klöstern an der Westküste der USA sowie ein Zeugnis über eine gemeinsame Vision hinsichtlich Leitung und Interkulturalität in einer monastischen Gemeinschaft. Es folgt ein Bericht über die künstlerische Ausgestaltung der Abteikirche von Vina (New Clairvaux, Kalifornien) und ein Nachruf auf Schwester Judith-Ann Hebble, der zweiten Moderatorin der „Internationalen Gemeinschaft der Benediktinerinnen“ (CIB). Gewürdigt wird zudem Schwester Lazare de Seilhac, Benediktinerin von Saint-Thierry (Frankreich, Kongregation der hl. Bathilde), die viel zur Entwicklung von AIM und vor allem zur Ausbildung mehrerer Generationen von Mönchen und Nonnen als Regelexpertin beigetragen hat. Es wäre schön, wenn ihr eindrucksvolles Leben einmal ausführlicher gewürdigt würde.
Jean-Pierre Longeat OSB
Präsident der AIM
Artikel
„Geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen, dann komm und folge mir nach!“ (Mt 19,21)
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Lectio divina
Jean-Pierre Longeat OSB
Präsident der AIM
„Geh, verkauf deinen Besitz
und gib ihn den Armen, dann komm
und folge mir nach!“
(Mt 19,21)
Der Dialog zwischen Jesus und dem jungen Mann im Matthäusevangelium 19,16-26, ergreift uns, da in ihm unsere eigenen Sehnsüchte angesprochen werden. Wir erkennen uns in diesem Anhänger der jüdischen Religion wieder und sind tief berührt von den Antworten Jesu, die uns einen Schlüssel dazu geben, wie wir ein Leben in der Nachfolge, ein Leben als Mönch, als Nonne oder Schwester führen können, das seinem eigenen Leben entspricht. Lassen wir uns einmal ganz und gar auf diesen Text ein, lassen wir uns vom Heiligen Geist inspirieren, um darin ein entscheidendes Wort zu hören, das uns weiterbringen kann.
Die Frage des jungen Mannes bezieht sich darauf, was man tun muss, um das ewige Leben zu erlangen: „Meister, was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu erlangen?“ (Mt 19,16).
In einem ersten Schritt verweist die Antwort Jesu lediglich auf einige Gebote, die den religiösen Pflichten des Gläubigen zugrunde liegen. Doch in einem zweiten Schritt, auf Drängen seines Gesprächspartners, fällt die Antwort ganz anders aus. Nehmen wir uns einen Moment Zeit, um diese beiden Antworten Jesu zu betrachten, und schauen wir uns dabei selbst an: Wo stehen wir, wenn wir die Haltung des jungen Mannes betrachten?
1. Antwort: Jesus zitiert einige Gebote, um die religiösen Pflichten des Gläubigen zusammenzufassen. Dabei erinnert er einfach an die letzten Gebote des Dekalogs, aber er zitiert sie nicht in der Reihenfolge, in der sie in der Bibel stehen (in Exodus 20 oder Deuteronomium 5). Er streicht vielmehr das letzte Gebot aus der Liste des Dekalogs und fügt stattdessen als Zusammenfassung eine Vorschrift aus Levitikus (19,18) hinzu: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Alle diese Gebote beziehen sich auf das moralische Verhalten: „Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht falsches Zeugnis ablegen“. Wie der reiche Jüngling könnten viele von uns Jesus antworten: „Alle diese Gebote habe ich gehalten“. Unsere religiöse Perspektive ist ziemlich gut durch solche ethischen Bestimmungen gekennzeichnet, die bereits sehr bemerkenswert sind. Viele sind damit zufrieden und ihr Leben ist höchst lobenswert.
Aber andere haben das Gefühl, dass im menschlichen Leben mehr auf dem Spiel stehen muss und dass unser Werden nicht nur an ein gutes moralisches Verhalten gebunden ist, so tugendhaft es auch sein mag.
Der junge Mann bohrt also tiefer: „Was fehlt mir dann noch?“ An dieser Stelle taucht erstmals der Begriff „junger Mann“ oder „Jüngling“ in unserem Text auf. Indem er diese entscheidende Frage stellt, präsentiert sich der Mann als jemand, der etwas Neues will. Das wird durch den Ausdruck „junger Mann“ zum Ausdruck gebracht, er ist buchstäblich ein „neuer“ Mensch, ein neu Geborener. Er lässt die tiefe Sehnsucht, die in ihm steckt, in sich aufsteigen. Jesus fördert durch seine Worte und sein Verhalten dieses Auftauchen bei anderen; für ihn gibt es nichts Wichtigeres im Leben als das: Die tieferen Bereiche unseres Wesens sind dazu berufen, ans Licht zu kommen und durch das Wirken des Heiligen Geistes wird ständig Neues in die Tat umgesetzt.
Und das ist die Antwort Jesu. Er macht den Kern seines Denkens bekannt: Er spricht von Erfüllung und nicht mehr nur von einer Pflicht, die einzuhalten ist. Dies gipfelt in der Einladung: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf alles, was du in deiner Hand hältst (so der griechische Originaltext) und gib es den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm, folge mir nach!“
Damit schließt Jesus an den ersten Teil des Dekalogs an, der immer wieder vergessen wird: „Du sollst keine anderen Götter haben und dir keine Götzen machen, du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen, halte den Sabbattag“. Es geht darum, sich nicht in allzu menschlichen Besitztümern zu verfangen. Ein Götze ist das, was man in der Hand hält und für sich selbst behält, ohne dass sich das Leben zwischen den Geschöpfen und dem Gott der Freiheit frei bewegen kann.
Unsere Schwierigkeit, auf den Ruf Gottes zu antworten, liegt genau darin. Wenn wir nicht von unseren Götzen ablassen, wenn wir nicht auf all das verzichten, was wir fest im Griff haben und das gleichsam der Motor unseres Lebens ist und nicht selten unsere Handlungen und Gedanken diktiert, dann verpassen wir die Fülle des Lebens, zu der uns Gott einlädt. Stattdessen verfallen wir unmerklich in Gedankenkreise, bei denen oft die Traurigkeit das letzte Wort hat, denn die Versprechungen unserer Götzen erfüllen sich nie.
Der junge Mann, der die Worte Jesu hörte, „ging voll Traurigkeit weg, denn er hatte viele Besitztümer“. Es ist interessant, dass der hier verwendete Begriff von sehr elementarer Bedeutung ist. Der junge Mann betrachtete das, was sein Eigentum ausmacht, als Besitztümer; Jesus sah die Dinge ganz anders, und er spricht von etwas ganz anderem: Es geht ihm um eine grundlegende Realität, die in unserem Bewusstsein wohnt, die wir als unser Ziel in dieser Welt betrachten und für die es sich lohnt, alles hinzugeben.
Aber ich höre natürlich die Proteste. Das ist doch nicht möglich! Umso mehr, als Jesus betont: „Es ist schwer, dass ein Reicher in das Himmelreich kommt; leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Himmelreich kommt.“ Dann folgt eine Erleichterung: „Für Menschen ist es unmöglich, aber für Gott ist alles möglich“. Der von Jesus verwendete Vergleich ist nicht wörtlich zu nehmen, sondern soll lediglich das Gewissen wecken. Anstatt bei menschlichen Verhaltensweisen stehen zu bleiben, die auf götzenhaften Vorstellungen und Besitztümern beruhen, ist es vielmehr notwendig, jede Abschottung gegenüber sich selbst und dem, was man glaubt, für sich zu besitzen, aufzugeben, um wirklich die Freiheit, die Freude und die Schönheit des Gebots der Liebe zu leben: Das ist der einzige Schatz des Himmels. Ja, für Menschen ist das unmöglich, aber für Gott ist alles möglich.
Wenn wir den Weg des jungen Mannes verfolgen, stellen wir fest, dass er zu Beginn des Abschnitts mit der einfachen Bezeichnung „jemand“ bezeichnet wird: „Und siehe, jemand kommt zu Jesus“. Dieser möchte wissen, was er Gutes tun kann, um das ewige Leben zu erlangen. Jesus verweist ihn auf den Einen, der Gott ist und in dem das Gute wohnt: „Einer allein ist gut“, also kann man sein Leben in der Beziehung zu ihm erfüllen und nicht allein in scheinbar perfekten Handlungen, die man vollbringen muss, um religiösen Pflichten nachzukommen. Als er dann sein tiefes Verlangen zum Vorschein kommen lässt, wird er als „junger Mann“ bezeichnet. Er steht an der Schwelle zur Wiedergeburt. Diese Wiedergeburt von oben, von der man spürt, dass sie ganz nahe ist, ist bei diesem jungen Mann besonders anrührend. Als er sich schließlich zurückzieht, geht er weg als ein Mann voller Traurigkeit.
Wie können wir diesen Text auf unsere Situation übertragen? Auch wir sehnen uns nach dem Leben. Wir suchen nach dem, was uns fehlt, weil uns die bloße Umsetzung religiöser Moralvorschriften nicht ausreichend motiviert. Jesus schlägt uns vor, uns von allem zu lösen, an das wir uns klammern. Jesus sagt dazu: „Kein Knecht kann zwei Herren dienen; entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird dem einen anhängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld“ (Lk 16,13). Er zeigt auch, wie man sich selbst verlassen muss, oder genauer gesagt die Illusion, die man von sich selbst hat, denn oft finden wir uns mehr an jene äußeren Dinge gebunden, die uns zu Rollenspielern machen, die nicht wirklich wir selbst sind. Sich selbst zu verlassen berührt alle Dimensionen unseres Lebens bis hin zu dem Punkt, dass es von oben neu geboren wird. Es ist nicht möglich, eine solche Dimension zu erfahren, ohne sich von seinen Götzen zu trennen.
Was könnten die Götzen sein, die uns heute daran hindern, in einer freien Beziehung zu Gott zu sein, damit wir wirklich die Osterfreude bezeugen können, die uns aus der Traurigkeit eines um sich selbst kreisenden Lebens herausholt?
Ja, es liegt eine radikale Freude, alles zu verkaufen und loszulassen, um einen Schatz im Himmel zu haben und ihn in Liebe mit allen Armen Gottes zu teilen. Was nützt es, sich zurückzuhalten, wenn Gott uns dort die totale Erfüllung unseres Lebens verspricht? Das ist das Zeugnis, das wir für Gottes Erlösung abzulegen haben. Wenn Gott uns erschaffen hat, dann um sein eigenes Leben inmitten des irdischen Weges, zu dem wir bestimmt sind, weiterzugeben: Verlieren wir keine Zeit mehr – das Reich Gottes ist da, treten wir in die Freude ein, die Gott uns schenkt, und seien wir seine Dienerinnen und Diener, damit möglichst viele Menschen schon jetzt die Erfüllung ihres Lebens finden. Das ist unsere Berufung und es liegt eine tiefe Freude darin, sie zu erfüllen.
Antworten auf den Fragenbogen der AIM
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Perspectives
Iternationales Team der AIM
Klosterleben heute –
Antworten auf den Fragenbogen
der AIM
Im Folgenden werden die Antworten auf den Fragebogen der AIM zum „Klosterleben heute” aufgeführt mit einer abschließenden Zusammenfassung.
Äbtissin Marie-Thérèse Dupagne, Leiterin der europäischen Kongregation der Auferstehung
Was sind die Hauptanliegen Ihrer Kongregation zum jetzigen Zeitpunkt?
Wir denken, dass eines unserer wichtigen Anliegen ist, zur Verständigung und zum Zusammenleben in Europa beizutragen, indem wir uns umeinander kümmern, uns gegenseitig unterstützen, Aspekte unseres Lebens gemeinsam gestalten und voneinander lernen. Wir wollen verstehen, wie die jeweilige Geschichte die Gemeinschaften in ihren Ländern geprägt hat, was sie besonders bewegt, wofür sie sich engagieren. Auf diese Weise erweitern wir unseren eigenen Horizont hin zu einer größeren Einheit.
Wo sehen Sie Ihre Prioritäten? Wie gehen Sie mit ihnen um?
Unsere Prioritäten sind, das klösterliche Ideal in der heutigen Welt zu leben und damit den Menschen Zeugnis von unserer Hoffnung zu geben.
Wir wollen dies tun
– Als Frauen von heute
– In der Kirche von heute, auf synodalem Weg
– In unseren Gemeinschaften, wie sie heute sind, also als kleine Gemeinschaften