„Das ganze Leben als Liturgie“
AIM Bulletin - Heft 125 (2023)
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Jean-Pierre Longeat OSB
Lectio divina
„Friede sei mit euch!“ Lukas 24,35-48 als Schlüssel zur Liturgie
Adriano Bellini OSB
Perspektiven
Monastische Liturgie – Gottes großes „Heute“
Jean-Pierre Longeat OSB
Heilige Makrina – „Ihr ganzes Leben war Liturgie“
Véronique Dupont OSB
Die Umsetzung der Reform des monastischen Stundengebets in der Brasilianischen Kongregation
Jerônimo Pereira OSB
Reflexion
Riten als Herzstück sozialer Bindungen
Jean-Claude Ravet
Zeugen für das Monastische Leben
Henri Le Saux (1910–1973) – Abhishiktananda –Priestertum im Geist
Yann Vagneux MEP
Kunst und Liturgie
Im Laufe der Geschichte „hat Maria diese Dinge in ihrem Herzen bewahrt“ (Lukas 2,19)
Ruberval Monteiro OSB
Berichte
Reise ins Heilige Land, April bis Mai 2023
Jean-Pierre Longeat OSB
Reise nach Indien, 11. bis 27. Februar 2023
Christine Conrath OSB
Leitartikel
Diese Ausgabe des AIM-Bulletins sollte eine zusammenfassende Reflexion über die heutige Liturgiepraxis in den Klöstern bieten: Errungenschaften, Fragen, Vorschläge. Wir haben es allerdings dann doch nicht geschafft, diese Herausforderung anzunehmen, die mehr Vorbereitung und Kontakte mit zahlreichen Klöstern auf verschiedenen Kontinenten erfordert hätte, um eine authentische Momentaufnahme der aktuellen Situation zu erhalten.
In unserer Ausgabe geht es aber trotzdem um Liturgie, und zwar mit einem eher allgemeineren und spirituellen Schwerpunkt. Wir freuen uns, dass wir dafür einen Beitrag von drei brasilianischen Benediktinern erhalten haben, von denen zwei Professoren am Päpstlichen Liturgieinstitut in Sant’Anselmo/Rom sind.
Unter den Artikeln sei besonders auf eine Studie von Schwester Véronique Dupont hingewiesen, Nonne von Vénières und unermüdliche Mitarbeiterin der AIM, die leider viel zu früh verstorben ist. Darin geht es um das „Leben als Liturgie“, wozu die Wüstenmutter Makrina mit ihrer ganzen Existenz einlud.
Pater Henri Le Saux (1910-1973) wird von Pater Yann Vagneux von der Missions Étrangères de Paris (MEP) anlässlich seines 50sten Todestages mit einem Beitrag gewürdigt.
Schließlich berichtet Schwester Christine Conrath, Sekretärin der AIM, von ihrer Reise nach Indien anlässlich der ISBF-Tagung mit anschließendem Besuch mehrerer Klöster. Von meiner Seite gebe ich eine Rückmeldung von meinem Aufenthalt in Israel, wo ich die verschiedenen Gemeinschaften der benediktinischen Familie im Heiligen Land besuchen konnte.
Dom Jean-Pierre Longeat OSB
Präsident der AIM
Artikel
„Friede sei mit euch!“ Lukas 24,35-48
1
Lectio divina
Adriano Bellini OSB
St. Martin/Ligugé (Frankreich)
„Friede sei mit euch!“
Lukas 24,35-48 als Schlüssel zur Liturgie
Jesus ähnelt nicht dem Messias, den sich die Israeliten vorgestellt hatten: ein König, Priester und Prophet, der sie von der Unterdrückung durch die Mächtigen befreien, Sünden vergeben und das Heil mit sich bringen würde. Doch der Apostel Petrus erinnert daran, dass Jesus der Messias ist, der kommen sollte und die Prophezeiung der gesamten Schrift vollständig erfüllt. Die Stunde ist gekommen: Wir müssen unsere Augen öffnen, um das Heil zu empfangen. Nur diejenigen, die sich vom Licht des auferstandenen Christus erleuchten lassen, haben ein offenes Herz für ein vertieftes Verständnis der Heiligen Schrift, um erneut zu lesen und wiederzuentdecken, dass er, der Erlöser, uns durch Demut, Gehorsam, Leiden und Tod rettet. Gerade im entscheidenden und schmerzhaften Moment seines Todes am Kreuz erfüllt er die Prophezeiungen. Als wahrer Priester bringt er das endgültige Opfer dar und offenbart die Macht des Königtums eines liebenden Gottes, der sein Volk nicht nur rettet, sondern auch für immer bei ihm bleibt.
Die Emmausjünger haben Jesus „am Brotbrechen“ erkannt, und nun tritt der Herr persönlich in ihre Mitte und zeigt ihnen die Zeichen der Kreuzigung, um Angst und Zweifel zu vertreiben; sie können ihn auch berühren und mit ihm essen. Christus, der Lebendige, versichert uns seiner realen Gegenwart unter uns, insbesondere durch das Wort und die Eucharistie. Wir können und sollen auch die Freude erfahren, Christus täglich zu begegnen, damit wir mit ihm kommunizieren und die Vergebung, das Leben und den Segen empfangen können, die wir brauchen.
Der auferstandene Jesus richtet diesen Gruß an die Jünger: „Friede sei mit euch!“ Der Friede ist das messianische Geschenk schlechthin, es ist das Geschenk der Auferstehung Christi. Aber es ist kein Frieden, der nach den Vorstellungen der Welt beschaffen ist. Jesus selbst drückt es so aus: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ ( Joh 14,27). Der Friede Christi ist ein Friede, der Zweifel in Gewissheit, Egoismus in Gemeinschaft und Angst in Hoffnung verwandelt. Dieser Friedenswunsch ist zutiefst liturgisch, mit ihm eröffnet der Bischof jede liturgische Feier. Es ist kein Zufall, dass das Motto der Benediktiner „PAX“ – Frieden – lautet und Benedikt als Bote des Friedens bezeichnet wird. Im Allgemeinen findet man den PAX-Gruß am Eingang vieler Klöster, manchmal sogar als ausformulierten Satz, z. B.: Sit pax intranti, redeunti gratia sancti (Friede dem Eintretenden, der Scheidende nehme die Gnade des Heiligen [Benedikt] mit sich. So zu finden am Eingang der Abtei St. Paul vor den Mauern in Rom). Wer durch den Kreuzgang meiner Abtei St. Martin geht, hat Mosaike vor sich, die ihn eindringlich an das Geschenk des Friedens erinnern. Dies ist nicht nur ein Willkommensgruß für diejenigen, die ins Kloster kommen, sondern ein Zeichen dafür, dass die Gemeinschaft den Gast willkommen heißt und ihm beim Betreten und Verlassen des Klosters das Kostbarste übergibt, was sie hat: den Frieden Christi, das österliche Geschenk par excellence. Die Klostergemeinschaft selbst ist dazu berufen, nach diesem Frieden zu leben, ihn zu suchen, zu bewahren und in die Welt auszustrahlen: „Suche den Frieden und jage ihm nach“, sagt Benedikt im Prolog (Prol. 17).
„Frieden ist nicht Trägheit oder falsche Selbstlosigkeit, [...] Frieden ist die Haltung einer Seele, die in der Liebe mit Gott vereint ist.“ (Abt Paul Delatte)
Frieden bedeutet nicht immer die Abwesenheit von Problemen oder Konflikten. Im Gegenteil, Jesus warnte seine Jünger, dass sie viele Drangsale ertragen müssen. Der Friede, den Jesus mit seinem Blut erkauft hat, bedeutet vor allem die Gewissheit seiner Gegenwart, selbst wenn wir ein stürmisches Meer voller Schwierigkeiten durchqueren müssen. Jesus lebt, er geht mit uns und schenkt uns seinen Frieden und die Freude des Heiligen Geistes. Dieser Friede wird verwirklicht, wenn wir uns alle für die Suche nach Gott und dem Gemeinwohl engagieren, wenn ein aufrichtiger Wunsch nach Gemeinschaft, Nächstenliebe und Selbsthingabe besteht. Es ist dieser Friede, der Friede des auferstandenen Christus, den wir während der Messe austauschen.
„Bleibe bei uns, Herr“. Befreie uns aus der Unwissenheit und öffne die Augen unserer Herzen für das Hören auf dein Wort und den Gehorsam gegenüber Gott. Gib uns die Gnade und die außerordentliche Freude, dir bei jeder Eucharistiefeier im gebrochenen Brot zu begegnen, und lass unser Wesen durch die Gemeinschaft mit deinem Leib und deinem Blut wahrhaft verwandelt werden, damit unser Glaubenszeugnis glaubwürdig und unsere Liebe aufrichtig ist und dein Friede in uns lebt. Amen.
Monastische Liturgie – Gottes großes „Heute“
2
Perspektiven
Lean-Pierre Longeat OSB
Präsident der AIM
Monastische Liturgie –
Gottes großes „Heute“
Die hier vorgelegten Überlegungen sollen eine Einladung sein, sich dafür zu entscheiden, heute den Tag zu leben, der uns als der wichtigste und wirklichste aller Tage gegeben ist. Heute, wie an jedem anderen Tag, geschieht alles aus der Kraft und der Wahrheit der Wesen und Dinge, vorausgesetzt, unser Leben ist bereit, sich darauf einzulassen. Wie wir wissen, hebt die Liturgie dieses „hodie“ hervor, dieses Heute, das uns in den endlosen Tag Gottes eintreten lässt.
Meine Anregungen wurden im Hinblick auf die Menschen verfasst, die heute, wie jeden Tag seit der Erschaffung der Menschen, nach Sein, Leben, Verstehen, Teilen, Liebe und intensiver Existenz in einer Menschheit dürsten, die ihr Verlangen herausschreit, ohne genau zu wissen, in welcher Weise es befriedigt werden kann.
Zunächst werden wir die Frage nach dem täglichen Hören stellen: „Heute, wenn ihr meine Stimme hört“; dann die Frage nach der täglichen Nahrung: „Unser tägliches Brot gib uns heute“, und schließlich werden wir uns dem Tag Gottes zuwenden, dem Tag jenseits aller Tage, dem verheißenen und ersehnten Tag.
„Heute, wenn ihr meine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht“ (Ps 94)
Der folgende Psalmvers wird ganz am Anfang der Regel Benedikts zitiert:
„Stehen wir also endlich einmal auf ! Die Schrift rüttelt uns wach und ruft: ,Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen‘ (Röm 13,11). Öffnen wir unsere Augen dem göttlichen Licht und hören wir mit aufgeschrecktem Ohr, wozu uns die Stimme Gottes täglich mahnt und aufruft: ,Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!‘ (Ps 94,8). Und an anderer Stelle: ,Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt‘ (Offb 2,7). Und was sagt er? ,Kommt her, meine Söhne, hört auf mich, ich will euch die Furcht des Herrn lehren‘ (Ps 33,12). ,Lauft, solange ihr das Licht des Lebens habt, damit euch nicht die Finsternis des Todes ergreife‘ ( Joh 12,35).“ (Prol. 8-13)
Psalm 94 wird in der benediktinischen Liturgie üblicherweise täglich zu Beginn der Vigil gesungen: Er ist der Einladungspsalm par excellence, der Psalm, der mit seinen verschiedenen Komponenten zum Gebet einlädt.
Zunächst ein allgemeiner Aufruf zum Lobpreis: „Kommt, lasst uns jubeln dem Herrn, jauchzen dem Fels unsres Heiles! Lasst uns mit Dank seinem Angesicht nahen, ihm jauchzen mit Liedern.“ Dann folgt ein Dank für das Werk der Schöpfung: „Er ist der große Gott, er, der Herr, der König, der größer ist als alle Götter! In seiner Hand sind die Tiefen der Erde; ihm gehören auch die Gipfel der Berge. Ihm gehört das Meer, er hat es gemacht, und das trockene Land, das seine Hände gebildet haben.“ Noch bevor der Herr als Schöpfer aller Dinge anerkannt wird, wird er als der einzige Gott bekannt, der Gott, der größer ist als alles. Deshalb kann er alles Geschaffene in seiner Hand halten, von den Tiefen der Erde bis zu den Gipfeln der Berge, über die ganze Breite der Meere und Kontinente.
Dann folgt ein Dankgebet für das Werk der Erlösung, das in direktem Zusammenhang mit der Wüstenwanderung und den Wundern steht, die dort durch die Hand des Herrn vollbracht wurden. Dieses Gebet wird von einer Aufforderung zur Reue begleitet, die der Garant für wahre Danksagung ist: „Kommt, wir wollen uns niederwerfen, vor ihm verneigen! Lasst uns den Herrn anbeten, der uns erschaffen hat! Denn er ist unser Gott, wir sind das Volk seiner Weide, die Herde, die von seiner Hand geführt wird ... Verhärtet eure Herzen nicht wie in der Wüste, wie am Tag des Aufruhrs und des Trotzes. Dort haben eure Väter mich versucht, sie stellten mich auf die Probe und hatten doch mein Tun gesehen.“ Diese Danksagung für die Erlösung und der Aufruf zur Umkehr werden mit einem neuen Glaubensbekenntnis verbunden: „Er ist unser Gott und wir das Volk, das er führt ...“.
Schließlich endet der Psalm mit einem Hinweis auf Gottes Versprechen an den Menschen, sein Leben in seiner ewigen Ruhe am letzten Sabbat teilen zu können, wenn sein Herz nicht vom Weg abkommt, mit einem weiteren Hinweis auf Israels Sünde in der Wüste: „Vierzig Jahre lang habe ich dieses Geschlecht ertragen; ich habe gesagt: ,Es ist ein Volk mit verirrtem Herzen; sie wollen von meinen Wegen nichts wissen.‘ Darum habe ich in meinem Zorn geschworen: ,Niemals sollen sie in das Land meiner Ruhe kommen!‘“
Inmitten dieses ganzen Komplexes kommt der von Benedikt zitierte Vers: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!“ In diesem Psalm gibt es also die Dimension der Erinnerung, die Dimension der Verheißung und die Dimension, die beidem einen Sinn verleiht, nämlich die tägliche Aktualität. Dies ist einer der Schlüssel zur christlichen Spiritualität. Benedikt ist dabei in der Nachfolge der monastischen Tradition ein besonders bemerkenswerter Ausleger.
Worum geht es bei seiner Deutung? Es geht darum, jeden Tag wach zu leben. Jeder Morgen und jeder Augenblick des Tages ist ein Ruf, der von der Stimme Gottes ausgeht. Dieser Ruf kann nur von denjenigen wahrgenommen werden, die darauf achten, denjenigen, die die Augen und Ohren ihres Herzens öffnen, um zu sehen und zu hören, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9 zitiert in RB 4,77). Was uns in diesem Leben unglücklich machen kann, ist, dass wir in der Illusion der äußeren Sinne gefangen sind. Wenn ich nur mit meinen fleischlichen Augen sehe und nur mit den Ohren meines Körpers höre, habe ich noch nichts gesehen und nichts gehört, was mich das wahre Leben schmecken lassen könnte.
Jeden Tag, in jeder Sekunde, durch die geschaffenen Wesen und Dinge wird uns die Gesamtheit der Existenz geschenkt. Doch oftmals schlafen wir und träumen nur. Es ist dringend, ständig dringend, aufzuwachen, aufzustehen, aufzuerstehen und zu lauschen: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“ Dies ist eine der wichtigsten Aussagen des Evangeliums. Um zuhören zu können, muss das Herz berührt werden, es muss bekehrt und beschnitten werden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Bergpredigt am Anfang des Matthäusevangeliums erneut zu lesen. Bereits im ersten Vers des Prologs fordert uns Benedikt dazu auf: „Höre und neige das Ohr deines Herzens“ (Prol. 1).
Indem der Hebräerbrief den oben genannten Vers aus Psalm 94 kommentiert, aktualisiert er auf besonders starke Weise unsere Beziehung zum Wort Gottes, das der Mensch empfängt, um es in die Tat umzusetzen, damit er eines Tages die Ruhe Gottes genießen kann: „Lebendig ist das Wort Gottes, wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenken und Mark, es kann die Gefühle und Gedanken des Herzens beurteilen. Daher gibt es kein Geschöpf, das vor ihr unsichtbar bleibt, sondern alles ist nackt und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft ablegen müssen“ (Hebr 4,12-13). Ist unser Leben ganz auf diese Perspektive des Heute des Wortes ausgerichtet, das in unserem menschlichen Leben geschieht, damit wir mit Christus sagen können: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21)?
„Unser tägliches Brot gib uns heute“ (Mt 6,11; Lk 11,3)
Es genügt nicht, das Ohr des Herzens zu neigen und es nicht zu verhärten – um den Ruf des Herrn durch sein tägliches Wort hören zu können, muss man auch bereit sein, das zu empfangen, was der Herr täglich nach seinem Willen für uns vorsieht.
Hier ist es gut, sich auf die Erfahrung Israels in der Wüste zu beziehen. Der Herr stillt den Hunger seines Volkes, indem er ihm in der Nacht „eine Tauschicht rings um das Lager“ schickt. Wenn diese Tauschicht am Morgen verdunstet ist, kommt auf der Bodenoberfläche etwas Kleines und Körniges zum Vorschein. „Das ist das Brot, das der Herr euch zu essen gegeben hat. Und Mose sagte zu ihnen: ,Niemand soll etwas davon bis zum nächsten Tag aufbewahren.‘ Und sie sammelten es jeden Morgen, jeder so viel, wie er essen konnte, und wenn die Sonne heiß wurde, schmolz es“ (vgl. Ex 16,13-21). Die tägliche Nahrung aus dem Manna, das vom Himmel kam, ist ein Schlüsselelement der Spiritualität des heutigen Tages, die Gott seinem Volk anbietet.
Das Matthäusevangelium gibt einen schönen Kommentar zu diesem Geschenk des Himmels: „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen werdet, noch um euren Leib, wie ihr ihn kleiden werdet. [...] Sorgt euch nicht, indem ihr sagt: Was sollen wir essen, was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? ... Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all das braucht. Trachtet zuerst nach seinem Reich und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch all das hinzugegeben. Sorgt euch also nicht um den morgigen Tag: Der morgige Tag wird sich um sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage“ (Mt 6,25-34).
Müssen diese Texte also wörtlich genommen werden? Nein, das reicht nicht aus, es ist notwendig, sie zu interpretieren. Aber es ist auch unerlässlich, diese Hingabe von Tag zu Tag im Vertrauen auf einen immer wieder zu erneuernden Glauben leben zu können. Es ist klar, dass unser Streben selten zuerst dem Reich Gottes gilt, und genau das ist das Problem. Wenn wir wie die Israeliten in der Wüste Vorräte an Manna anlegen wollen, wenn wir die Gabe Gottes horten wollen, wenn wir nicht akzeptieren, jeden Tag die Gaben zu empfangen, die wir jeweils brauchen, werden wir das Leben Gottes in dieser Welt nicht umsetzen können.
Die Rede über das Brot des Lebens stellt die Erfüllung des alttestamentlichen Zeichens des Mannas dar. Christus offenbart sich uns darin, dass er selbst zum Brot des Lebens wird. „Eure Väter in der Wüste haben das Manna gegessen und sind gestorben; dieses Brot ist das Brot, das vom Himmel herabkommt, damit man davon isst und nicht stirbt. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer dieses Brot isst, wird in Ewigkeit leben“ ( Joh 6,49-51).
Unsere einzig wahre tägliche Nahrung ist Christus, der gegeben wurde, damit die Welt das Leben hat. Wir empfangen ihn in seinem wiedergekäuten Wort und im Gebet, im Brot der Eucharistie und der Sakramente sowie in der geschwisterlichen Gemeinschaft.
So kann „Unser tägliches Brot gib uns heute“ nur in einer jeden Tag neuen Beziehung zum hingegebenen Christus richtig verstanden werden. Auf diese Weise können wir das Reich und seine Gerechtigkeit suchen, auf diese Weise können wir uns mit der täglichen Nahrung begnügen.
Bei Lukas hören wir daher: „Heute erfüllt sich vor euren Ohren diese Schriftstelle“ (4,21); nach der Heilung des Gelähmten rufen die Zeugen aus: „Wir haben heute seltsame Dinge gesehen“ (5,26). „Siehe, ich treibe heute und morgen Dämonen aus und vollbringe Heilungen, und am dritten Tag werde ich vollendet! Aber heute und morgen und am nächsten Tag muss ich weiterziehen; denn es ziemt sich nicht, dass ein Prophet außerhalb Jerusalems umkommt“ (13,32-33). „Zachäus, komm schnell herunter, denn ich muss heute bei dir übernachten. [...] Heute ist diesem Haus das Heil widerfahren...“ (19, 5-9).
So ist es möglich, uns nach unserer täglichen Nahrung zu fragen. Geht es wirklich darum, zuerst Christus zu empfangen, um den Willen zu erfüllen, der in Gott ist, oder geht es darum, sich um eine völlig überflüssige Anhäufung zu kümmern, die wir nicht mit ins Grab nehmen können? Steht unser Leben unter dem primären Zeichen der Eucharistie mit all seinen spirituellen, persönlichen, gemeinschaftlichen und sozialen Dimensionen, oder ist es etwas anderes, das letztlich eitel ist? Die Annahme der täglichen Nahrung Christi bedeutet, zu akzeptieren, dass unsere unmittelbaren Pläne durcheinander gebracht werden, und dies freudig in der Nachfolge Jesu zu leben, der nach Jerusalem zu seinem Exodus hinaufzieht.
Benedikt schreibt dem Abt vor, sich an diese Lehre des Evangeliums zu erinnern, damit „er nicht vergisst, dass es Seelen sind, die er zu führen erhalten hat und für die er Rechenschaft ablegen muss. So soll er sich nicht überm..ig um die geringen Mittel des Klosters sorgen, sondern sich daran erinnern, dass geschrieben steht: ,Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit; das Übrige wird euch hinzugegeben werden‘“ (RB 2,35).
Der Tag des Herrn
Das wirkliche Heute im Leben der Gläubigen ist das große Heute Gottes, das sich über die gesamte Geschichte und weit darüber hinaus erstreckt. Denn für den Herrn sind „tausend Jahre wie ein Tag“ (Ps 89) und „besser ein Tag in den Vorhöfen des Herrn als tausend andere“ (Ps 83,11). Dieses Heute Gottes ist das Heute seines ständigen Kommens. Der Herr hört nicht auf zu kommen, er besucht seine Schöpfung, er spricht zu ihr, er verkörpert sich in ihr, er verspricht ihr sein glorreiches Kommen, wenn Christus alles in allem sein wird.
So wird die biblische Offenbarung von der Ankündigung dieses Heute Gottes unterbrochen, das sich ständig im Leben der Menschen zeigt: „Es ward Abend, es ward Morgen, erster Tag“ (Gen 1); „Dies ist der Tag, an dem der Herr handelt“ oder „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat“ (Ps 117); „An jenem Tag ...“ sagen die Propheten immer wieder; dieser Ausdruck zielt nicht unbedingt auf eine Projektion in die Zukunft ab, sondern ist eine Ankündigung des heutigen Tages, an dem jeder aufgerufen ist, zwischen Leben und Tod zu wählen (vgl. Deuteronomium). Das Lukasevangelium beginnt mit dieser Ankündigung der Frohen Botschaft: „Heute ist euch der Retter geboren“ (Lk 2,11) und schließt mit der Verheißung: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43).
Aber am besten kommt dieser große Tag Gottes im Heute der liturgischen Feier zum Ausdruck. In der lateinischen Liturgie erklingt hodie als unerhörte Hoffnung das ganze Jahr hindurch. Das bekannteste hodie ist das zu Weihnachten: „Hodie Christus natus est...“ – „Heute ist uns Christus geboren; heute ist uns der Retter erschienen; heute singen die Engel auf Erden, heute freuen sich die Erzengel; heute jubeln die Gerechten und sagen: ,Ehre sei Gott in der Höhe‘.“ (Antiphon zum Magnificat der 2. Weihnachtsvesper). Diese Antiphon findet ihre Vorbereitung im Stundengebet des Heiligen Abends, wo das Heute der Offenbarung angekündigt wird: „Heute werdet ihr erkennen, dass der Herr kommen wird, und am Morgen werdet ihr seine Herrlichkeit sehen“. Dieser Weihnachtsantiphon kann die Antiphon zu Epiphanie hinzugefügt werden: „Hodie caelesti sponso“ – „Heute hat sich die Kirche mit ihrem himmlischen Bräutigam vereint, denn Christus hat sie im Jordan von ihren Verfehlungen reingewaschen; die Weisen aus dem Morgenland kommen mit ihren Gaben zur königlichen Hochzeit und die Gäste freuen sich über das in Wein verwandelte Wasser“ (Antiphon zum Benedictus der Laudes von Epiphanie). Die Antiphon zum Magnificat der zweiten Vesper greift dieses Thema auf: „Heute hat der Stern die Weisen aus dem Morgenland zur Krippe geführt; heute hat sich das Wasser beim Hochzeitsmahl in Wein verwandelt; heute wollte Christus im Jordan von Johannes getauft werden, um uns zu retten.“ In diesem Sinne verkündet auch die Antiphon des Magnificat der zweiten Pfingstvesper das an diesem Tag aktualisierte Geheimnis: „Heute sind die Tage des Pfingstfestes erfüllt; heute ist der Heilige Geist in Gestalt des Feuers den Jüngern erschienen und hat die geheimnisvollen Gaben auf sie ausgegossen; er hat sie in die ganze Welt gesandt, um zu predigen und Zeugnis abzulegen. Diejenigen, die glauben und die Taufe empfangen, werden gerettet werden.“ Dazwischen liegen natürlich der Ostersonntag und die Osterzeit, in der das „Haec dies quam fecit Dominus“ aus Psalm 117,24, dem Osterpsalm schlechthin, erklingt: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat, lasst uns jubeln und fröhlich sein.“ Dieser Tag ist der Tag der Tage: das wahre Heute des göttlichen Lebens. Einige neuere marianische Antiphonen (8. Dezember, 11. Februar) haben dieses Thema aufgegriffen, und die benediktinische Liturgie hat es für die Feste des heiligen Benedikt, der heiligen Scholastika und des heiligen Maurus übernommen. Der Sonntag ist der große Tag des Herrn, sowohl der erste Tag der Schöpfung als auch der Erlösung in der Auferstehung Christi und der achte Tag, der Tag jenseits der Tage, der Tag Gottes, der alle Dinge verklärt, der Tag seines Kommens. Das Sakramentale des Sonntags ist wirklich von großer Bedeutung für den Ausdruck des Lebens Christi. Wir müssen in unserem Leben eine Spiritualität dieses Alltags entwickeln, der das Heute Gottes ist. Es ist der Tag der Geburt, es ist der Tag des Anfangs, des Neuanfangs, es ist der Tag der Auferstehung, und es ist auch das Heute der Ewigkeit, der Tag, an dem der Schein verblasst, um der Wirklichkeit Platz zu machen, der Tag der Unterscheidung, der ein anderer Name für das Gericht ist.
Indem die Liturgie die Mysterien im Heute singt, gibt sie ihnen die Möglichkeit, sich hier auf Erden in konkreter Gestalt zu verwirklichen. Die Gläubigen machen sich so zu Zeitgenossen der gefeierten Geheimnisse, die zu einem konkreten Zeitpunkt Fleisch angenommen haben und immer noch aktuell sind. Das ist der Sinn des christlichen Gedenkens.
Ein alter Mönch unseres Klosters, der vor einigen Jahren verstarb, lebte die letzte Zeit seines Lebens in dem Glauben, dass jeden Morgen Sonntag sei, und da er in der Sakristei eingesetzt wurde, bereitete er jeden Tag alles vor, was für die Liturgie des Sonntags benötigt wurde. Natürlich hatte dieser ältere Mönch ein wenig den Verstand verloren. Aber möglicherweise sind wir die Verrückten, und dieser Mönch hatte ihn in seiner Schlichtheit nach rund siebzig Jahren Klosterleben wiedergefunden.
Ein Mönch in der ägyptischen Wüste im 4. Jahrhundert sagte sich jeden Morgen: „Heute fange ich ganz neu an“. Möge dieser Anfang nie aufhören, in unserem Handeln zu wohnen: So werden wir, wie Gregor von Nyssa sagt, „von Anfang zu Anfang gehen, durch Anfänge, die kein Ende haben“, und so werden wir zu dem Tag ohne Untergang gelangen, den Gott uns bereits im Bild anbietet.
Schlussfolgerung
Es reicht nicht aus, einige Prinzipien aufzustellen, sondern sie müssen auch mit konkreten Konsequenzen verbunden werden.
Werden wir wirklich auf den Ruf hören, der von Gott in unseren Ohren ertönt? Werden wir ein Herz haben, das empfänglich genug ist, um in das Heute des Wortes einzutreten? Fragen wir uns wirklich, ob wir das göttliche Wort auf die eine oder andere Weise in uns aufnehmen (biblische und geistliche Lektüre, Gebet, Meditation, ruminatio, lectio divina). Ist unser Heute das Heute eines Kommens Gottes in uns und um uns herum, der seinen Arbeitern in der Menge auf immer wieder unerwartete Weise sucht und zuruft? Verwandeln wir unser Leben zur einer täglichen Erfahrung von Begleitung? Wie teilen wir das Brot Gottes mit unseren Brüdern und Schwestern? Wie können wir das Manna, das das wahre Brot des Lebens ist, empfangen? Es ist klar, dass man sich angesichts der Tatsache, dass gut die Hälfte der Menschen auf unserem Planeten an Hunger leidet, wirklich fragt, wo das Gebet geblieben ist: „Unser tägliches Brot gib uns heute“; gibt es also eine Unmöglichkeit, uns auf dem Weg durch die Wüste dieser Welt zu Nachfolgern des Herrn zu machen?
Und schließlich: Wie bezeugt unser Leben den Tag über die Tage hinaus? Können wir die unmittelbaren Güter relativieren, um uns auf Gott zu verlassen, mit dem Mut zu unermüdlicher Arbeit, aber frei von der Sorge, auf unsere Kosten zu kommen? Der Tag Gottes ist immer ein Tag des Gerichts, an dem wir entblößt werden, um wirklich das zu sein, was wir sein sollen: einfache Geschöpfe, einfache Diener, die sich als Kinder Gottes für die Ewigkeit wissen. Dort ist unser Schatz, und „wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein“ (Mt 6,21).
„Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat, wir wollen jubeln und uns über ihn freuen“ (Ps 117,24).
Heilige Makrina „Ihr ganzes Leben war Liturgie“
3
Perspektiven
† Sr. Véronique Dupont OSB
Abtei Notre-Dame de Venière (Frankreich)
Heilige Makrina
„Ihr ganzes Leben war Liturgie“
Das Leben der heiligen Makrina
Gregor von Nyssa verfasste das „Leben der Makrina“ (VSM)[1] frühestens um 380, spätestens 383, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, in den schönsten Stunden ihrer geistlichen Ausstrahlung. Dieser Text, ungefähr zur selben Zeit wie die „Große Katechese“ entstanden, ist die spirituelle Seite der dort erläuterten Glaubenswahrheiten und deren Illustration. Der unmittelbare Anlass für die Abfassung dieses Textes ist bekannt: Während einer Reise, die Gregor nach Arabien unternahm, um dort über die Beschlüsse des ersten Konzils von Konstantinopel (381) zu berichten, traf er einen Mönch namens Olympios, dem er tief bewegt vom kürzlichen Tod seiner Schwester berichtete. Olympios war tief berührt und bat Gregor, diese Geschichte aufzuschreiben, damit sie den Mönchen und Nonnen als Beispiel dienen könne.
Eine eucharistische Liturgie
Gregor stellt Makrinas Leben als eucharistische Liturgie dar: Makrina bereitet das Brot zu, salbt die Hände für die eucharistischen Gaben und gedenkt selbst der magnalia Dei. Sie ruft zur Heiligung auf (Epiklese) und stirbt während der Eucharistiefeier im Lucernarium, der abendlichen Lichtfeier. Diese Form des Todes, das Ende des Gebets und das Ende des Lebens, ist ein durchaus verbreiteter Gemeinplatz in den christlichen Erzählungen dieser Zeit.[2]
Nach der Lebensbeschreibung lieh Makrina ihre Hände für den liturgischen Dienst (VSM 5); was ist damit gemeint? Vielleicht bereitete sie das eucharistische Brot vor, wie viele Jungfrauen ihrer Zeit, wie Jean Daniélou[3] erklärt? Sicherlich empfing sie es in ihren Händen, die dadurch gesalbt (Christus) und somit für alle Beschäftigungen des Tages geweiht waren.
Was waren Makrinas Beschäftigungen während des Tages? „Über die göttlichen Wirklichkeiten nachdenken, unaufhörlich beten, Tag und Nacht Hymnen singen, die notwendigen Aufgaben erfüllen, um die man sich in diesem Leben kümmert. Die Handarbeiten überließ sie dabei nicht Sklaven und Dienerinnen“ (VSM 11).
Der Primat der Schrift
Makrina wurde schon in ihrer Jugend dazu ausgebildet, über die göttlichen Realitäten nachzudenken. Hatte sie nicht gelernt, in den Heiligen Schriften zu lesen und darüber zu schreiben? Wurde sie nicht in der Heiligen Schrift unterrichtet? Alles, was in der inspirierten Schrift Gottes dem frühen Alter zugänglicher erschien, gehörte zum Ausbildungsprogramm des Kindes, vor allem die Weisheit Salomos, und in diesem Buch vorzugsweise das, was zum sittlichen Leben beiträgt. Auch der Psalter war ihr nicht unbekannt, und sie betete daraus Teile zu bestimmten Zeiten des Tages; so wenn sie von ihrem Bett aufstand, wenn sie sich an die Arbeit machte oder diese beendete, wenn sie ihre Mahlzeit einnahm oder den Tisch verließ, wenn sie zu Bett ging oder sich zum Gebet erhob, überall trug sie innerlich die Psalmen mit sich, wie eine treue Begleiterin, die keinen Augenblick fehlte. Makrinas Erziehung erfolgte vollständig durch die Heilige Schrift, und auch Basilius, Makrinas jüngerer Bruder, wurde ursprünglich durch die Schriftlesung geformt, weshalb es in seinen Schriften eine Fülle von Zitaten und Verweisen gerade auf weisheitliche Texte gibt. Auch Petrus, der Jüngste (der später Bischof von Sebaste werden sollte), wurde auf diese Weise ausgebildet. Makrina erzog ihn und verschaffte ihm dabei Zugang zu einer höheren Kultur, indem sie ihn von Kindheit an in die heiligen Wissenschaften hineinführte (VSM 12). Für die Antike war die Schrift ein Tor zum universellen Wissen. In ihr lernte man lesen und schreiben, verstehen, Geschichte, Naturwissenschaften, Kosmologie, Mathematik, Medizin, Zahlensymbolik und vor allem die Weisheit, die Christus ist, kennen. Die Erziehung von Makrina und ihren Brüdern begann daher im kindlichen Alter mit dem Studium der Weisheitsbücher und des Psalters. Makrina rezitierte jeden Tag den gesamten Psalter: „Nicht einen Augenblick lang fehlte er ihr“ (VSM 3); was heißt das anderes, als dass sie ihn auswendig kannte (Auswendiglernen durch das Herz)? Die gleiche Haltung findet sich im Brief 107 des Hieronymus über die kleine Paula: „Ihre noch zarte Zunge soll von der Süße der Psalmen durchdrungen sein ... Sie soll als erstes den Psalter lernen“ (VSM 8)[4]. Ebenso gibt Benedikt in seiner Regel den jungen Mönchen als erste Aufgabe das Studium des Psalters auf (RB 48,10). Makrinas Schriftpraxis endet jedoch nicht mit dem Alten Testament. Makrina entschied sich für ein „philosophisches“ Leben, und ihr Philosoph war Christus. Dieses „philosophische“ Leben, das in Annisa[5] geführt wurde, war das in seiner Absolutheit gelebte Leben des Evangeliums. Es stimmt mit den Aufrufen des Apostels Paulus in seinem Brief an die Kolosser überein: „Legt alles ab: Zorn, Grimm, Bosheit, Schmähungen, schändliche Reden aus eurem Mund“ (Kol 3,8), und des Petrus an die Christen: „Ihr alle aber begegnet einander in Demut. Denn Gott tritt den Stolzen entgegen, Demütigen aber schenkt er seine Gnade“ (1 Petr 5,5). Das Leben der Makrina verweist in zahlreichen weiteren Zitate auf ähnliche neutestamentliche Texte. Was die Darstellung von Gregor betrifft, ist sie nicht in ihrem eigenen, für diese Zeit charakteristischen Stil ein Zeichen für den Übergang vom alten zum neuen Menschen (siehe Kol 3,9-10)? Einige Episoden aus dem Leben in Annisa werden uns von Gregor in Szenen aus den Evangelien dargestellt, wahrscheinlich um die Verbindung zwischen dem Klosterleben und der Nachfolge Christi deutlich zu machen. So beschafft Makrinas Bruder Petrus an einem Tag während einer Hungersnot so viele Vorräte, dass die Menge der Besucher – angezogen durch den wohltätigen Ruf des Klosters – „die Wüste wie eine Stadt aussehen ließ“ (VSM 12); dies erinnert an die Menge, die zu Jesus eilte, z. B. in Markus 1,45, aber auch bei der Brotvermehrung (Mk 6,31-44) und bei den Heilungswundern. Makrina selbst vollbrachte viele Wunder (VSM 36). Gregor will damit zeigen, dass das Ideal der Philosophie die Vollkommenheit des christlichen Lebens ist, und dass das Streben nach diesem Ideal keine abstrakte Suche darstellt, sondern sich nach einer Person sehnt: Christus. Unaufhörlich zu beten, das Lob Gottes zu singen, ist für Makrina und ihre Gefährtinnen ihre Arbeit und ihre Ruhe nach der Arbeit (VSM 11).
Arbeit/Ruhe; Arbeit/Entspannung;
Gott nachgehen, Erholung in Gott, Ruhe in Gott
Das Psalmodieren und Singen von Hymnen ist eine Energiequelle, eine innere Erneuerung. In diesem Sinne ist das Leben in Annisa ein „engelhaftes“ Leben, denn die Engel loben Gott unaufhörlich (VSM 12 und 15). Der Gottesdienst hat immer Vorrang. Die kranke Makrina weiß, dass es das letzte Mal ist, dass sie mit ihrem Bruder spricht, doch sie unterbricht den geistlichen Austausch, der eigentlich eine Anamnese der Magnalia Dei ist (VSM 20), als das Lucernarium beginnt. Sofort schickt sie ihren Bruder zur Kirche, während sie selbst sich im Gebet Gott anvertraut (VSM 22). Am Ende ihres Gebets bekreuzigte sie sich „und beendete sowohl ihr Gebet als auch ihr Leben“ (VSM 25).
Drei Feiern
Anstatt alle Spuren von „Liturgie“ in Makrinas Leben zu erfassen, wollen wir uns drei „liturgische Feiern“ ansehen: den Empfang eines Gastes, den Tod in Christus und die Begräbnisliturgie.
Die Begrüßung eines Gastes
Als Bischof Gregor in Annisa ankommt, um seine kranke Schwester zu besuchen, geht die Gruppe der Männer (Mönche, die Basilius weiter hinten auf dem riesigen Familienbesitz angesiedelt hat) ihm entgegen, während die Gruppe der Jungfrauen, die sich geordnet neben der Kirche aufgestellt hat, dort auf Gregors Einzug wartet. Gregor tritt ein, betet und segnet die Jungfrauen, die sich verneigen (VSM 16). In ähnlicher Weise wird, wenn ein Gast im Kloster oder in einer basilianischen Bruderschaft ankommt, zuerst gebetet[6].
Dies ist ein Brauch, der bereits im 4. Jahrhundert im Osten gut belegt ist. Man findet ihn später in der Benediktsregel, z. B. in RB 53,4. Dieser Brauch wurde in der monastischen Welt allgemein üblich.
Der Tod in Christus
Je mehr Makrina ihren biologischen Tod erahnt (gegen Ende des Tages, was ebenfalls ein Symbol ist), desto mehr sehnt sie sich danach, zu ihrem Geliebten zu gehen (VSM 23). Ihr Bett ist dem Osten zugewandt. Im Osten verorteten die ersten Christen das Paradies; vom Osten aus wird die Rückkehr Christi erwartet, aber auch das Kommen der Engel, die die Seelen der Gerechten in Empfang nehmen und sie in Gottes Paradies führen. Pachomius sieht im Osten die Seele eines Mitbruders, die zu den Engeln getragen wird. Makrina betrachtet im Osten die Schönheit des Bräutigams, während ihre Augen unaufhörlich auf ihm ruhen. Dann entspringt in ihrem Herzen und von ihren Lippen ihr Gebet. Während sie betet, zeichnet Makrina ein Kreuz auf ihren Mund, ihre Augen und ihr Herz, um ihr ganzes Wesen vor den Dämonen zu schützen. Dann äußerte sie den Wunsch, das Eucharistiegebet des Luzernariums zu sprechen, d. h. das große Abendgebet. Sie tat es mit Gesten und in ihrem Herzen, da sie vor lauter Fieber nicht mehr sprechen kann. Das Gebet endete mit dem Kreuzzeichen, während sie mit einem tiefen Seufzer ihr Gebet und ihr Leben beendete (VSM 25). Diese Darstellung von Makrinas Tod will ausdrücken, dass ihr ganzes Leben zum Gebet geworden war, ihr ganzes Leben zur Liturgie: Liturgie im starken, weiten Sinne, nicht als Vollzug von Riten, sondern als Einbeziehung ihres gesamten Lebens in die Liturgie. Das bedeutet nicht, dass alles, was wir im klösterlichen Leben vollziehen, rituell ist, bei weitem nicht, aber es meint, dass nichts aus unserem christlichen Leben ausgeschlossen ist: „Alles gehört euch, aber ihr gehört Christus, und Christus gehört Gott“ (1 Kor 3,22-23).
Der Beerdigungsritus
Eine weitere von Gregor berichtete Begebenheit zeigt, dass die Liturgie das gesamte klösterliche Leben durchdringt. Als Makrina starb, wurden Trauergesänge angestimmt. Makrina hatte zwar eine Zeit für Tränen festgelegt (VSM 27), indem sie vorschrieb, zur Zeit des Gebets zu weinen, aber sie hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Tränen weder ein Jammern noch ein Klagen sein sollten. Mit anderen Worten: Es gibt eine Zeit für alles, eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Danken. Aber wenn es eine Zeit für alles gibt, bedeutet das nicht, dass man alles auf jede beliebige Weise tun kann. Man kann seinen Schmerz in der Liturgie ausdrücken (z. B. das Singen der Psalmen). Auch Jesus weinte. Man weint, aber man beklagt sich nicht. Unter der Leitung von Lampadion, der Chorleiterin, psalmodieren die Jungfrauen, „denn Psalmodien besänftigen das Seufzen“, sagt Gregor von Nazianz[7]. Die ganze Nacht hindurch wurden Hymnen gesungen, wie bei den Märtyrern. Dieses liturgische Merkmal bedeutet, dass Makrinas Tod dem eines Märtyrers gleichgesetzt wird, weil sie bis zum Ende treu war! Aus diesem Grund ist die Feier eines Jubiläums oder sogar die Beerdigung einer Nonne eine größere Feier als die monastische Profess: Die Profess ist ernst, sie ist ein Versprechen für die Zukunft; der Tod einer Nonne ist dagegen das erfüllte Versprechen.
Die Psalmodie wurde von zwei Chören vorgetragen. Einem Frauenchor, nämlich die Nonnen von Annisa und die anderen Frauen (denn es kommt eine große Menschenmenge, nicht ohne die Psalmodie manchmal zu stören), und einem Männerchor, also die Mönche und die anderen Männer. Diese Chöre singen entweder abwechselnd oder gemeinsam in einem Chor, der „dank einer allen gemeinsamen Melodie vollkommen einheitlich ist“ (VSM 33). Dann setzt sich der Trauerzug in Bewegung in Richtung der etwa eineinhalb Kilometer entfernten Kapelle, die den vierzig Märtyrern von Sebaste gewidmet ist. Dort liegen bereits die Eltern der Verstorbenen begraben. Der Zug wird von Bischof Araxios geleitet, während Gregor vorausgeht. Von diesem Leichenzug wird berichtet, dass ihn die angeströmte Menschenmenge massiv verlangsamte: Für die kurze Strecke wird ein ganzer Tag benötigt. Es handelt sich um eine echt liturgische Prozession (VSM 34), mit Diakonen, niederen Klerikern, Akolythen und anderen Diensten. Während des gesamten Weges wird wie bei den drei Jünglingen im Feuerofen mit einer Stimme und einem Mund psalmodiert (siehe Dan 3,51). Als das Grab geöffnet wird, beginnt eine Jungfrau, dann mehrere, laut zu schreien; es kommt zu einem Tumult. Schließlich bittet Gregor um Ruhe, der Kantor lädt zum Gebet ein und das Volk beruhigt sich. Wie die klugen Jungfrauen (Mt 25) geht die Prozession dem Bräutigam entgegen, Makrinas Gesicht wirkt überirdisch schön. Bei der Bestattung (VSM 35) beachten wir einen damals praktizierten biblischen Brauch: Damit die Nacktheit der längst verstorbenen Eltern nicht aufgedeckt wird – den Griechen widerstrebte es, solche Schauspiele zu sehen –, wurden ihre Körperreste mit einem neuen Leichentuch bedeckt (Gen 9,25; Lev 18,7) und Makrina wird gemäß ihrem gemeinsamen Willen neben ihrer Mutter aufgebahrt. Makrinas Leben ist ein mystischer Aufstieg zu Christus. Die gleichen spirituellen „Sprossen“ finden sich auch im Leben des Moses des Gregor von Nyssa, auch wenn sie dort in anderer Form dargestellt werden.
Die von Makrina vollbrachten Wunder
Im Epilog (VSM 39) erwähnt Gregor zahlreiche Wunder, die Makrina vollbracht hat, wie Heilung von Krankheiten, Austreibung von Dämonen, Anspielung auf ein Wunder in der Zeit der Hungersnot; aber er erzählt nicht alle diese Wunder im Detail, da er der Meinung ist, dass die Heiligkeit seiner Schwester bereits gut belegt ist, ohne dass es sich lohnt, weitere hinzuzufügen. So werden im Laufe des Lebensberichts nur zwei Wunder berichtet, eines betrifft Makrinas selbst, das andere ein kleines Kind, wobei Gregor das zweite Wunder als Ausgangspunkt für eine philosophische (d. h. klösterliche) Lehre nutzt. Diese Wunder wurden also von Gregor nicht zufällig ausgewählt: Wenn Wunder in einer Vita erwähnt werden, dann um die Ähnlichkeit des Heiligen oder der Heiligen mit Christus zu zeigen. Die Wunder werden nach Bezügen zur Heiligen Schrift ausgewählt; nämlich die Heilung eines Blinden und eine im Glauben vorgenommene Salbung.
Ein Wunder Makrinas
Dieses Wunder wird nach Makrinas Tod bekannt, als Gregor und Vetiana, eine von Annisas Jungfrauen, Makrinas Leiche beerdigen wollen. Vetiana erzählt Gregor nämlich, dass ihre Makrina früher einen schweren Brusttumor hatte und sich trotz der Aufforderungen ihrer Mutter weigerte, sich behandeln zu lassen. Als sie im Heiligtum betete, mischte sie stattdessen aus ihren Tränen einen Schlamm und legte ihn auf den Tumor. Da ihre Mutter immer noch darauf bestand, dass sie sich behandeln lassen sollte, forderte Makrina sie auf, das Kreuzzeichen auf ihre Krankheit zu machen, was sie auch tat. Der Tumor verschwand und hinterließ nur einen kleinen Fleck, der „ein Denkmal des göttlichen Eingreifens, ein Gegenstand und ein Grund unaufhörlicher Danksagung an Gott“ sein sollte (VSM 31). Durch diese Erzählung wird die Tiefe von Makrinas Glauben deutlich. Die Struktur des Textes erinnert an die Heilungen, die Jesus im Evangelium vollbrachte: „Geh, dein Glaube hat dich gerettet“ (Mt 9,22).
Das geheilte Soldatenkind
Die Erzählung dieses Wunders ist eindrucksvoll (VSM 37-38), denn sie springt immer wieder zwischen dem philosophischen, also klösterlichen Leben und der Krankheit des Kindes eines Soldaten hin und her. Dieser Soldat und seine Frau waren nämlich nach Annisa gereist, um Makrina zu sehen und das Kloster zu besuchen. Sie brachten ihre kleine Tochter mit, die an einer Augeninfektion litt. Der Soldat besuchte das Männerkloster, das von Petrus, dem Bruder von Makrina und Gregor, geleitet wurde, während seine Frau zum Frauenkloster ging, das unter der Leitung von Makrina stand. Vor ihrer Abreise erhalten sie als Zeichen der Freundschaft die Einladung – jeder in seinem jeweiligen Kloster – am Mahl teilzunehmen. Das kleine Mädchen ist bei seiner Mutter. Makrina nimmt sie auf den Schoß, bemerkt ihr Leiden und verspricht ihrer Mutter eine Belohnung, da sie zur philosophischen Tafel gekommen ist. Sie gibt der Mutter Augentropfen, die die Augenkrankheit heilen sollen. Nach dem Bankett macht sich das Paar auf den Heimweg. Unterwegs stellen sie fest, dass sie die Augentropfen vergessen haben; im selben Moment bemerken sie jedoch, dass das Kind bereits geheilt ist. Die Mutter erkannte, dass das Gebet als göttliches Heilmittel die eigentlichen Augentropfen waren. Der Soldat nimmt das Kind in den Arm und gedenkt all der Wunder des Evangeliums; ihr Glaube hat sie geheilt. Diese beiden Wunder sind ganz von den Evangelien geprägt. Ihre gemeinsame Grundlage ist der Glaube. Sie werden in einem Stil berichtet, der bewusst den Synoptikern nachempfunden ist (siehe Lk 4,40; 7,21).
Makrinas Leben ist ein Wettlauf zu und mit Christus
Das Motiv des Wettlaufs erinnert an den Traktat De instituto christiano, der Gregor von Nyssa zugeschrieben wird. Gregor vergleicht seine Schwester mit einem Läufer, der am Ziel ankommt, dabei seine Gegner überholt hat, den Kranz des Sieges sieht und seinen Blick auf den Preis des Rufes von oben richtet. Makrina lebt als Athletin Christi. Ihr Streben nach Christus ist eine allmähliche Befreiung, um ihn zu sehen (VSM 23). Christus ist ihr Geliebter. Makrina empfand eine göttliche und reine Liebe zu Christus, ihrem unsichtbaren Bräutigam. Sie nährte diese Liebe bis ins Innerste ihres Wesens. Ihr Herz war ganz von dem Wunsch beseelt, zu ihrem Geliebten zu eilen, um früher bei ihm zu sein, sobald sie von den Fesseln des Körpers befreit war: „In Wahrheit richtete sich ihr Lauf auf ihren Geliebten, ohne dass einer der Genüsse des Lebens ihre Aufmerksamkeit zu ihrem Vorteil ablenkte“ (VSM 22).
Sie ist von Christus fasziniert, betrachtet in ihm die Schönheit des Bräutigams und hält ihre Augen unaufhörlich auf ihn gerichtet. Sie stirbt, wie sie gelebt hat, „gekleidet wie eine Braut“, geschmückt für ihren Bräutigam (VSM 32). Im Licht erstrahlend, selbst in einem dunklen Gewand, ist Makrina mit Licht bekleidet, so wie Adam und Eva in ihrem Urzustand. Wie Christus lebt Makrina für Gott (Röm 6,10). Makrina wurde zum Licht, wie ihr Schöpfer. Ihr Leben war ein einziger Aufstieg zu Christus. Das Ziel des Laufs ist ein Gesicht: das Gesicht des Geliebten.
Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!
Abschließend sei gesagt, dass das Leben der heiligen Makrina als ein ständiger Aufstieg beschrieben wird. Das Streben nach dem philosophisch-klösterlichen Ideal ist ein mystischer Aufstieg: Denn sich von den Leidenschaften zu befreien, d.h. sie zu beherrschen, bedeutet, mit Christus gekreuzigt zu werden; es bedeutet, seine Seele zu reinigen, damit sie vor Gott unbefleckt gefunden (VSM 24) und von ihm aufgenommen wird. Die Werte, die durch das philosophische Leben hervorgehoben werden, sind Jungfräulichkeit, Armut (die „Armut ist die Amme der Philosophie“[8] wird Basilius schreiben), der Verzicht auf Karriere und Luxus. Armut drückt den bewussten Willen zur Gleichheit mit den Armen aus, woraus sich auch der tiefe Sinn der Arbeit ergibt; all diese Werte sind kein Ziel an sich, sondern wollen zu Christus führen. Daher bewegt man sich im „immateriellen“ Leben, das auch als engelgleiches Leben bezeichnet wird, auf ihn zu. Was ist damit gemeint? Engel sind diejenigen, die ständig das Angesicht Gottes sehen; durch die Kontemplation lebt Makrina in der Gesellschaft der Engel und „wandelt in der Höhe mit den himmlischen Mächten“ (VSM 11). Seit Christus sich in seiner auferstandenen Menschheit zur Rechten des Vaters gesetzt hat, sind die Menschen zu Bürgern des Himmels geworden: Sie sind mit Christus in den Himmel aufgefahren und zu neuem Leben geboren. Dies ist eine ontologische und nicht eine moralische Wahrheit. Die Taufe hat sie zu Bewohnern des Himmels gemacht: „Gott hat uns auferweckt und uns mit Christus in den überhimmlischen Regionen sitzen lassen“ (Eph 2,6). Wir sind bereits in den Himmel aufgenommen, wir sind Mitbürger der Engel, wir haben das Bürgerrecht im Himmel. Unsere Zugehörigkeit zur himmlischen Stadt befreit uns ontologisch von der Herrschaft der irdischen Stadt und stellt uns unter eine andere Gerichtsbarkeit, gliedert uns in eine neue Gemeinschaft ein. Aber: Wir sind immer noch auf der Erde! Ja, das stimmt, aber wir sind auch wieder nicht mehr auf der Erde, „wir sind Fremdlinge auf Erden“ (Hebr 11,13). Durch das Sakrament, das Mysterium, kommen die Wirklichkeiten des Himmels, um sich im Sinnlichen mitzuteilen, um einen Platz in der Zeit einzunehmen, wodurch wir nicht wie Plotin durch Ekstase in den Himmel versetzt werden, sondern ontologisch.
Mitbürger der Engel sein bedeutet Konfrontation mit dem Dämon, dem gefallenen Engel, dem Engel, dessen Eifersucht unweigerlich auf diejenigen übergreift, die Mitbürger der Engel geworden sind, daher der Stellenwert des geistlichen Kampfes, der eine Realität ist, vor der man sich nicht verschließen darf. Solange es Mönche und Nonnen gibt, werden sie gegen die Dämonen kämpfen, ganz gleich, welche Form diese Dämonen in den verschiedenen Epochen angenommen haben mögen. Das Klosterleben ist nicht einfach eine Rückkehr ins Paradies, es ist der Eintritt in die Stadt der Engel, in das Reich Christi, in dem alles wiederhergestellt ist, in dem die Ordnung wiederhergestellt ist. Nach und nach wird das gesamte Wesen des Mönchs, der Nonne, vergöttlicht, wie es das Wesen Makrinas war. Solange wir noch auf der Erde sind, nehmen wir am Kreuz Christi teil und jubeln gleichzeitig mit den Engeln. Wir leben in beiden Welten gleichzeitig. Die Aufgabe des Mönchtums in der Kirche ist es, die Verbindungstür zwischen Himmel und Erde offen zu halten, die Tür, durch die die Engel ein- und ausgehen, die Tür, durch die die Kirche der Liturgie und dem Leben der himmlischen Stadt beiwohnt und an ihr teilnimmt.
[1] Grégoire de Nysse, Leben der heiligen Makrina, in: SC 178, Paris 1971.
[2] Ähnlich auch Gregor von Nazianz beim Tod seines Vaters, seiner Mutter und seiner Schwester Gorgonie.
[3] Jean Daniélou, Le ministère des femmes dans l’Église ancienne, in: La Maison-Dieu 61 (1960), 88.
[4] Vgl. auch Hieronymus, Briefe, T. 5, 107, 4, CUB, Paris 1955, S. 147.
[5] Annisa ist der Name des Familienanwesens in der Nähe von Neo-Cäsarea, wo Makrina 341 ein Kloster gründete.
[6] Basilius von Cäsarea, Monastische Regeln, PR 312.
[7] Gregor von Nazianz, Trauerrede für seinen Bruder Caesarius.
[8] Basilius von Caesarea, Briefe I, 4.
Die Umsetzung der Reform des monastischen Stundengebets in der Brasilianischen Kongregation
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Perspektiven
Jerônimo Pereira, OSB
São Bento, Olindaa / Sant’Anselmo, Rom
Die Umsetzung der Reform
des monastischen Stundengebets
in der Brasilianischen Kongregation
Liturgie ist die Eigenschaft, welche das benediktinische Klosterleben ganz besonders auszeichnet. Diese Perspektive war maßgeblich für den Internationalen Kongress der Äbte und Konventualprioren der Benediktinischen Konföderation, der vom 19. September bis 4. Oktober 1966 unter der Leitung von Abtprimas Benno Gut (1897-1970) in Sant’Anselmo in Rom abgehalten wurde. Das zentrale Thema war die Reform des monastischen Breviers. Die lebhafte Diskussion drehte sich um die Themen Pluralität oder Uniformität, Latein oder Volkssprache, „moderner“ oder gregorianischer Gesang und – vor allem beim Psalter – um ein Gleichgewicht zwischen Quantität und Qualität. Auf dem Spiel stand die Suche nach einem Ausgleich zwischen dem Buchstaben und dem Geist der Regel. Der Kongress endete mit der Bildung einer Kommission – De re liturgica, die untersuchen sollte, wie man am besten auf die Konfliktpunkte reagieren, sie harmonisieren und einen Kompromiss herbeiführen könnte.
Im folgenden Jahr fand der zweite Teil des Kongresses wie geplant statt (vom 18. bis 30. September). Über die von der Kommission vorgelegten Vorschläge wurde abgestimmt; ein neuer Abtprimas, Rembert Weakland, wurde gewählt, und eine neue Kommission gebildet, um die Studien fortzusetzen. Am 15. Oktober desselben Jahres billigte das Consilium ad exsequendam Constitutionem de Sacra Liturgia den Gebrauch ad experimentum des provisorischen Psalter-Ordinariums, das dem Kongress von Abt Emmanuel Heufelder (1898-1982), dem Abt von Niederalteich, vorgelegt worden war.
Am 10. Februar 1977 approbierte die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung das von der Kommission vorbereitete und am 11. November 1976 dem Abtprimas zur Approbation vorgelegte liturgische Dokument, den Thesaurus Liturgiae Horarum Monasticae[1]. Für das Psalmengebet stellt der Thesaurus vier verschiedene Schemata vor, die nach ihren Autoren benannt sind: Schema A (folgt der Benediktusregel); B, zusammengestellt von Notker Füglister von der Schweizer Abtei Dissentis (Füglister-Schema); C, genannt „Scheyern-Schema“ nach der gleichnamigen Abtei, in der es entworfen wurde, und D, entworfen vom Trappisten Chrysogonus Waddell aus der Abtei Gethsemani, Kentucky, USA[2].
Verlauf in Brasilien
1. Die Bildung der Kommission
Um die Reform des Stundengebets in Brasilien umzusetzen, setzte das Generalkapitel der Brasilianischen Benediktinerkongregation in Brasilien unter der Leitung von Abt Basílio Penido von São Bento in Olinda (Abtpräses der Kongregation von 1972 bis 1996) eine Kommission aus Mönchen und Nonnen unter der Leitung von Äbtissin Maria Teresa Amoroso Lima (1929-2011) von Santa Maria in São Paulo ein. Der Kommission gehörten neben der genannten Äbtissin noch an: Abt Timóteo Amoroso Anastácio (1910-1994) von São Sebastião in Bahia, P. Marcos de Araújo Barbosa, Dichter und Übersetzer, von der Abtei Nossa Senhora do Monserrate in Rio de Janeiro, Sr. Francisca Biolchini (1920-2012) aus der Abtei Santa Maria in São Paulo; sowie zwei Nonnen aus dem Kloster Nossa Senhora das Graças in Belo Horizonte: Sr. Maria Teixeira de Lima (1913- 2012) und Äbtissin Martinha Marques Mello (1925-2020). Leider lassen sich in den Archiven der Abtei Santa Maria keine Unterlagen über die Arbeit der Kommission finden.
2. Die Arbeitsmethode der Kommission und das Ergebnis
Die „Erneuerung des monastischen Stundengebets“ bestand in der Übersetzung von Texten aus dem damals neu veröffentlichten Thesaurus. Die Kommission begann, sich regelmäßig in der Abtei Santa Maria in São Paulo zu treffen. Laut Aussage der heutigen Äbtissin von Santa Maria, Mutter Escolástica Ottoni de Mattos, war Abt Timóteo Amoroso Anastácio für die Übersetzung der Texte der Heiligen Schrift zuständig und suchte nach einer poetischeren Sprache, während die Hymnen von der Kommission übersetzt wurden, wobei sich P. Marcos de Araújo Barbosa um Metrum und eine poetische Sprache kümmerte.
Die Bücher der Stundenliturgie nach dem klösterlichen Ritus der brasilianischen Benediktinerkongregation wurden schließlich in vier Bänden veröffentlicht. Der erste erschien 1981 und war für den Zyklus Advent, Weihnachten und Epiphanie bestimmt, einschließlich des Propriums der Heiligen dieser liturgischen Zeit[3]. Der zweite Band, der den Feiern im Jahreskreis gewidmet war, darunter den Herrenfesten Dreifaltigkeit, Fronleichnam, Heiligstes Herz Jesu und Christkönig, erschien im folgenden Jahr 1982[4]. Zu Beginn der Fastenzeit desselben Jahres erschien der dritte Band mit den Texten für die liturgische Zeit von Fastenzeit, Ostern und Pfingsten[5]. Der letzte Band mit Heiligenfesten trägt das Datum seiner Veröffentlichung am Fest der Heiligen Rosa de Lima, dem 23. August desselben Jahres .[6]
Die Bände wurden von Äbtissin Maria Teresa als Experiment und vorläufige Veröffentlichung vorgestellt, mit dem Ziel, drei Jahre später eine vollständige und endgültige Veröffentlichung präsentieren zu können. Auf jeden Fall waren sie nicht offiziell: Sie enthielten kein Nihil obstat oder eine Einleitung durch den Abtpräses der Kongregation und haben auch keine Art von „Praenotanda“.
3. Allgemeine Anmerkungen
Im Allgemeinen folgen diese Bände, deren angekündigte vollständige und endgültige Fassung nie veröffentlicht wurde, einer ähnlichen Struktur, die von Äbtissin Maria Teresa verantwortet wurde. Bei dieser „vorläufigen“ Veröffentlichung wurden als Richtlinien eingehalten: das Schema der Benediktusregel und das Schema B („Füglister“) für die Verteilung des Psalters. In vielen Fällen wurden die Texte der Antiphonen im Thesaurus durch Texte aus dem Psalterium monasticum ersetzt, das damals erst kürzlich von den Mönchen von Solesmes herausgegeben worden war[7]. Aus demselben Grund wurden nur die obligatorischen Gedenkfeiern aufgenommen. Im Band zum Jahreskreis wurden die Antiphonen des Magnificat und des Benedictus sowie die Responsorien für die geraden (II) und ungeraden (I) Wochen aufgenommen. Für das Ende der Vigilien wurde die Möglichkeit geboten, das Schema der RB zu übernommen, das auch im Psalterium monasticum solesmense enthalten ist. Die Responsorien der Vigilien, die dem römischen Stundengebet entnommen sind, wurden im Anhang veröffentlicht, wobei auf die Veröffentlichung eines „Benediktinischen Lektionars“ gewartet werden sollte.
4. Anmerkungen zum Gesang
Mit der Neuübersetzung des Stundengebets stellte sich das Problem einer gesanglichen Anpassung, insbesondere der Antiphonen, die verschiedensten Änderungen unterworfen waren (Änderung von Ort und Reihenfolge, Austausch, Unterdrückung usw.), ganz zu schweigen von vielen neuen Texten für kurze Responsorien und Hymnen sowie mehrerer neue Feste. Um diese Lücke zu schließen, legte Mutter Maria Teresa „auf Auftrag“ das Antiphonale Monasticum pro Diurnis Horis (Ad instar manuscriti) vor[8]. Das Antiphonale bietet „gregorianische Melodien für alle Texte, die in erster Linie aus den im Thesaurus angegebenen Quellen stammen, aber auch aus dem Psalterium Monasticum von Solesmes“. Um sich an das Psalterium solesmense anzupassen, wurden die im Thesaurus angegebenen Antiphonen durch andere mit ähnlichem Inhalt ersetzt, die bereits vertont worden waren. Einige Texte wurden an bereits bestehende Melodien angepasst und zahlreiche kurze Responsorien, die von den Benediktinerinnen des Heiligsten Altarsakraments veröffentlicht worden waren, wurden kopiert.
Die Arbeit am Antiphonar lässt sich praktisch in drei Phasen unterteilen: die erste entspricht der Zeit, in der die „alten und neuen“ Bücher unter den Gemeinschaften gesammelt wurden; die zweite ist das Experimentieren, das einige Gemeinschaften durchführten, wozu Loseblatt-Sammlungen gedruckt wurden, und schließlich die Zusammenstellung des gesamten Materials in einem Band, der über 900 Seiten enthält. Das grundlegende Kriterium war, dass die neue Fassung so nah wie möglich der Praxis des Stundengebets folgen sollte, die in den Gemeinschaften bereits in Gebrauch war. Das Antiphonar, das in künstlerischer Weise hergestellt wurde, weist zwei Daten auf: Auf der ersten Seite steht als Datum des 24. November 1981, womit Äbtissin Maria Teresa an den Beginn der Gedenkfeiern zum 70. Gründungstag ihres Klosters erinnerte. Zwei Seiten weiter, am Ende der Einleitung, erscheint als Datum das Fest Kreuzerhöhung (14. September) 1982.
Schlussfolgerung und offene Fragen
Heute, vier Jahrzehnte später, hat die Brasilianische Benediktinerkongregation es aufgegeben, eine einheitliche und definitive Fassung ihrer Chorbücher zu erstellen. Stattdessen versucht jede Gemeinschaft in eigener Initiative, nach besten Kräften eine würdige Chorfeier zu organisieren.
Ein Grund dafür war, dass erst 2018 die offizielle Bibelübersetzung, ein Werk der Brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB), erschienen ist, aus der die Texte für den liturgischen Gebrauch entnommen werden sollen. Der dort enthaltene Psalter ist allerdings nicht für den Gesang, insbesondere den Chorgesang, geeignet. Die Übersetzung der Gebetstexte des Römischen Messbuchs wurde erst in diesem Jahr 2023 vollendet.
Was den Gesang betrifft, so ist anzumerken, dass aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr alle Gemeinschaften in der Messe und im Offizium Latein und damit den gregorianischen Gesang in umfangreicherer Form verwenden. Dieser Verlust eines jahrhundertealten Schatzes ist bedauerlich, andererseits aber auch eine Chance, da er die Erarbeitung eines Repertoires begünstigt hat, das der aktuellen Situation angepasst ist, auch wenn immer die Gefahr von Melodien zweifelhafter Qualität besteht.
Eine große Herausforderung für die unbedingt notwendige Neuherausgabe der Chorbücher für die Brasilianische Benediktinerkongregation besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen einer hohen Qualität des Chorgebets in all seinen Elementen zu wahren, ohne die aktive Kreativität jeder Gemeinschaft, männlich und weiblich, zu ersticken. Zu berücksichtigen sind auch die sehr unterschiedlichen liturgischen Traditionen der einzelnen Häuser sowie die Tatsache, dass die Klöster Brasiliens in einem multikulturellen Gebiet von kontinentaler Weite verteilt sind.
[1] Thesaurus Liturgiae Horarum Monasticae, hrsg. vom Sekretariat des Abtprimas, Rom 1977.
[2] Vgl. Ruben Leikam, „El Thesaurus liturgiae horarum monasticae de 1977 y la renovación del opus Dei benediction“, in: Cuadernos Monásticos 86 (1988), 299-330.
[3] Liturgia das Horas Segundo o Rito Monástico I: Tempo do Advento, Natal e Epifania, hrsg. von der Congregação Beneditina do Brasil, Lumen Christi, Rio de Janeiro 1981.
[4] Liturgia das Horas Segundo o Rito Monástico II: Tempo Comum, hg. von der Congregação Beneditina do Brasil, Lumen Christi, Rio de Janeiro 1982.
[5] Liturgia das Horas Segundo o Rito Monástico III: Tempo da Quaresma, Páscoa e Tempo Pascal, hg. von der Congregação Beneditina do Brasil, Lumen Christi, Rio de Janeiro 1982.
[6] Liturgia das Horas Segundo o Rito Monástico IV: Próprio e Comum dos Santos, hg. von der Congregação Beneditina do Brasil, Lumen Christi, Rio de Janeiro 1982.
[7] Psalterium Monasticum cum Canticis Novi & Veteris Testamenti. Psalterium Monasticum iuxta regulam S.P.N. Benedicti et alia schemata Liturgiae Horarum Monasticae cum canto gregoriano cura et studio monacorum solesmensium, Solesmes 1981.
[8] Antiphonale Monasticum pro Diurnis Horis (Ad instar manuscripti), hrsg. von der Abtei Santa Maria, São Paulo 1981.
Henri Le Saux – Abhishiktananda –Priestertum im Geist
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Zeugen für das Monastische Leben
P. Yann agneux MEP
Benares (Indien)
Henri Le Saux – Abhishiktananda*
Priestertum im Geist
Zum 50. Todestag von Pater Henri Le Saux (1910-1973) soll im Folgenden an diesen hochverdienten Pionier des interreligiösen und intermonastischen Dialogs erinnert werden. Der Verfasser des Beitrags, Pater Yann Vagneux, publizierte 2022 die Korrespondenz von P. Henri und Sr. Therese von Jesus, einer Nonne im Karmel von Lisieux, die in seiner Nachfolge nach Indien ging und dort Einsiedlerin wurde.[1]
A am 21. Dezember 1971, dem 36. Jahrestag seiner Priesterweihe, schrieb Henri Le Saux (1910-1973), in Indien besser bekannt als Swami Abhishiktananda, in sein Tagebuch: „Geweiht für einen ,Dienst‘, aber ein Amt, das über seine sogenannten kirchlichen Manifestationen hinausgeht. Amt im Dienst des Mysteriums, Offenbarung des Mysteriums. Offenbarung an die Menschen ihres eigenen persönlichen Mysteriums (sic) und auch des Gesamtmysteriums, des Mysteriums an sich. Der Mönch verschwindet, geht in das Mysterium über. Der Priester enthüllt dieses Geheimnis. Aber wer kann es wirklich offenbaren, ohne darin verloren zu gehen“. Diese Zeilen fassen die Vorstellungen vom Priestertum des christlichen Mönchs wunderbar zusammen, der vor mehr als zwanzig Jahren die ferne Bretagne verlassen hatte, um auf die indische Seite zu wechseln, wo sein Priesteramt hauptsächlich in einem Hindu-Umfeld ausgeübt wurde. Natürlich lässt sich Abhishiktanandas Priestertum, ebenso wie sein Leben, nicht einfach übertragen. Doch so einzigartig und brennend sein Priestertum auch sein mag, es hat nichts von seiner inspirierenden Kraft verloren, vor allem nicht für denjenigen, der sich wie er danach sehnt, dem Herzen Indiens tief zu begegnen, um ihm die Neuheit Christi zu vermitteln.
Quaerere Deum
1921 trat Henri Le Saux im Alter von elf Jahren in das kleine Seminar von Châteaugiron ein. Fünf Jahre später setzte er seine Ausbildung am Großen Seminar in Rennes fort, um sich auf das Amt des Diözesanpriesters vorzubereiten. Nach dem Tod eines Freundes, der Mönch werden wollte, fühlte er sich jedoch dazu berufen, diese junge, unvollendete Berufung wieder aufzunehmen und trat 1929 in die Benediktinerabtei von Kergonan ein. Einige Monate vor seinem Eintritt in das Postulat vertraute er dem Novizenmeister die Gründe für seine neue Berufung an: „Was mich von Anfang an angezogen hat und was mich immer noch dorthin führt, ist die Hoffnung, Gott näher als irgendwo sonst zu finden. Ich habe eine sehr ehrgeizige Seele. Das darf man doch, nicht wahr, wenn es um die Suche nach Gott geht, und ich hoffe sehr, dass ich nicht enttäuscht werde.“ In diesem Vertrauen, das von jugendlichem Enthusiasmus geprägt ist, klingen die Worte an, die Benedikt als Ziel des monastischen Lebens in den Mittelpunkt seiner Regel gestellt hat: „Quaerere Deum“ – „Gott suchen“, und „Nihil amori Christi praeponere“ – „Nichts der Liebe Christi vorziehen“. In seinem schönen Vortrag von 2008 im Collège des Bernardins erklärte Papst Benedikt XVI, was das „quaerere Deum“ der Benediktinermönche war:
„Inmitten der Verwirrung jener Zeiten, in denen nichts standzuhalten schien, sehnten sich die Mönche nach dem Wichtigsten: sich darum zu bemühen, das zu finden, was wertvoll ist und immer bleibt, das Leben selbst zu finden. Sie waren auf der Suche nach Gott. Von den nebensächlichen Dingen wollten sie zu den wesentlichen Realitäten gelangen, zu dem, was allein wirklich wichtig und sicher ist. [...] Hinter dem Vorläufigen suchten sie das Endgültige.“
Es scheint, als würden wir hier die Worte des jungen Mönchs von Kergonan lesen, der am Fest Christi Himmelfahrt am 30. Mai 1935 seine ewigen Gelübde ablegte. Am Ende dieses Jahres, am 21. Dezember, wurde er zum Priester geweiht, am selben Tag, an dem die lateinische Kirche damals das Fest des heiligen Thomas, des Apostels von Indien, feierte.
Es ist wichtig, hier zu betonen, dass Abhishiktanandas Priestertum zunächst im Rahmen des benediktinischen Klosters gelebt wurde, dessen unauslöschliche Prägung er bis zu seinem Lebensende beibehalten sollte. Sein Priestertum war voll und ganz in das Streben nach dem „quaerere Deum“ eingebettet, von dem Benedikt XVI. noch sagte:
Streben nach dem „quaerere Deum“ eingebettet, von dem Benedikt XVI. noch sagte:
„Quaerere Deum: Da sie [die Mönche] Christen waren, handelte es sich nicht um ein Abenteuer in einer weglosen Wüste, eine Suche in absoluter Finsternis. Gott selbst hat Meilensteine gesetzt, besser gesagt, er hat den Weg geebnet, und ihre Aufgabe bestand darin, ihn zu finden und ihm zu folgen. Dieser Weg war sein Wort, das in den Büchern der Heiligen Schrift den Menschen angeboten wurde.“
Das Leben eines christlichen Mönchs wird in der Tat durch die lectio divina der Heiligen Schrift gegliedert. Diese finden auch ein ganz besonderes Echo in der Liturgie mit den sieben täglichen Chorgebeten. Der gregorianische Gesang, für den sich Henri Le Saux aufgrund seiner Tätigkeit als Zeremoniar begeisterte, baut ganz auf Bibelstellen – hauptsächlich Psalmen – auf, die durch einen Gesang von bewegender Schlichtheit verherrlicht werden. Abhishiktananda sehnte sich bis an sein Lebensende danach und weinte, als ihm Freunde in Indien das „Dominus dixit“ vorsummten: den Introitus der Mitternachtsmesse, den er seit Jahrzehnten nicht mehr gehört hatte... In Kergonan war Henri Le Saux auch Bibliothekar, d. h. er war für einen der zentralen Orte des klösterlichen Lebens zuständig. Im täglichen Kontakt mit den Büchern pflegte er eine große Nähe zu den Kirchenvätern, die in den ersten Jahrhunderten einen einzigartigen kontemplativen Zugang zum in Christus offenbarten Mysterium entwickelten. Doch vor allem in der Atmosphäre des Schweigens, die in Kergonan so beeindruckend war, lebte Henri Le Saux das „quaerere Deum“. Dies war seine Berufung als Mönch, von der er viele Jahre später schrieb: „Der Einsame ist in der Kirche der Diener des Schweigens Gottes“.
Die neunzehn Jahre, die Abhishiktananda in seiner Benediktinerabtei verbrachte, waren in vielerlei Hinsicht wegweisend, insbesondere für die Ausübung seines Priestertums in Indien in einer Kultur, die so sehr von der Figur des Mönchs geprägt ist, egal ob es sich dabei um einen Hindu, Jain, Buddhisten oder Christen handelt:
„Der Mönch ist der Mensch des Eschaton. Er ist derjenige, der bezeugt, dass die Zeit aus der Ewigkeit kommt und in die Ewigkeit geht. Er bezeugt Advaita, die Nicht-Dualität des Seins, in der Abfolge der Zeiten und der Vielfalt der religiösen Formen.“
Das Priestertum Melchisedeks
Henri Le Saux kam 1948 nach Südindien und schloss sich in der Nähe von Trichy Jules Monchanin (1895-1957) an, der dort schon seit über zehn Jahren lebte. Beide gründeten 1950 den Ashram Shantivanam, unweit von Kulitalai, und nahmen neue Namen für christliche Sannyasis an. Monchanin wählte Paramarubyananda zu Ehren des Heiligen Geistes und Le Saux Abhishiktananda in Anlehnung an Christus, den Gesalbten (abhishikta) des Vaters. Durch ihren bescheidenen Ashram wollten sie erreichen, dass die Kirche in Indien, die damals schon so reich an schulischen und medizinischen Einrichtungen war, auch ihre kontemplative Form sichtbar machen konnte, wie Maria zu Fü.en des Herrn, während ihre Schwester Martha mit dem Tischdienst beschäftigt war. Für sie war es von entscheidender Bedeutung, dass der Hinduismus entdecken konnte, dass das Christentum eine lange kontemplative und monastische Tradition hatte. Sie dachten auch, dass dieser Ashram ein Ort des Austauschs sein könnte, an dem sie, die Christen, die Gaben empfangen würden, die der Heilige Geist im Herzen Indiens niedergelegt hatte.
Als Abhishiktananda einige Jahre später Eine Messe an den Quellen des Ganges schrieb, einen Bericht über seine Pilgerreise nach Gangotri, legte er seinem Reisebegleiter Raimon Panikkar diese Worte in den Mund:
„Unsere Aufgabe als Christen in Indien ist es, aus den Schätzen zu schöpfen, die uns unsere Rishis, Seher und Weisen hinterlassen haben, die Schriften zu erforschen, uns an den reinsten und ursprünglichsten Quellen ihrer Erfahrung zu laben, um der Kirche ihre unvergleichlichen Geheimnisse zu vermitteln.“.
In diesem Buch schrieb er weiter:
„Indien und seine Schriften sind Teil des riesigen kosmischen Testaments, das dem Bund vom Sinai und dem Bund, den Gott mit Abraham schloss, vorausging [...]. Wie innerhalb dieses Testaments, dieses ursprünglichen Bundes, bereitet der Geist die Fülle der Zeiten vor, das Kommen des fleischgewordenen Wortes durch alle Völker, alle Orte und alle Zeiten des Universums.“
Als Abhishiktananda von einem „kosmischen Testament“ sprach, verankerte er die die Suche der Hindus im Erlösungsplan, lange vor der christlichen Offenbarung. Ein solch umfassender theologischer Blick war notwendig, um all das zu erklären, was er bei seiner Entdeckung Indiens erlebte. Auf einzigartige Weise entdeckte er dieses geheimnisvolle „kosmische Testament“ in den Begegnungen mit den Sannyasis, die er auf der Straße oder in den Höhlen von Arunachala traf. Er entdeckte es auch in den brahmanischen Priestern, die in den großen Tempeln des Tamilenlandes und bei seinen Nachbarn in Uttarkashi im Himalaya wirkten, wo er im März 1961 ein Stück Land kaufte, um eine kleine Einsiedelei zu errichten. Abhishiktananda war tief berührt von der priesterlichen Verbundenheit, die er mit den hinduistischen Pandits erlebte. So beschrieb er die einzigartigen Messen, die er in ihrer Nachbarschaft in lateinischer Sprache zelebrierte:
„Ich habe dir, glaube ich, von den ersten Messen erzählt, die im Himalaya-Dorf Gyansu gefeiert wurden. Obwohl ich sie so früh wie möglich zelebrierte, war der Sadhu, der im Zimmer unter mir wohnte, bereits aufgestanden. Er psalmodierte bereits die Gita oder wiederholte seine Mantras und untermalte sie mit strahlenden OMs. Ich murmelte halblaut die Dominus vobiscum aus der Liturgie. Als Antwort stiegen Namah Shivaya – Ehre sei Shiva – in mir auf. Die Hari Om wechselten sich mit meinem Kyrie ab und die Bhagavan antworteten auf mein Sursum corda. Im gegenüberliegenden Shiva-Tempel läutete die Glocke und begleitete die Riten, die mein Bruder Melchisedek, der Brahmane, mit all seiner Frömmigkeit zelebrierte. Ich stellte mir vor, dass unser himmlischer Vater sich mit besonderer Freude über diese buchstäblich kosmische und universelle Liturgie beugte.“
In seiner Reflexion über Indien und das kosmische Testament stach eine Figur besonders hervor: Melchisedek, der geheimnisvolle heidnische Priester, der Abraham entgegenkam, um ihn zu segnen (Gen 14,18-20). Abhishiktananda zögerte ebenso wie Panikkar nicht, in den hinduistischen Priestern entfernte Brüder des kosmischen Hohepriesters zu sehen:
„Siehst du diese Priester des Tempels von Mutter Ganges hier, die von Kédar, die von Badri, die von allen Heiligtümern auf dem Berg und in der Ebene? Sind sie nicht die Brüder des biblischen Melchisedek, desjenigen, der Abraham segnete und dessen Andenken der Priester des römischen Ritus jeden Tag im heiligsten Moment der Liturgie in Erinnerung ruft? Melchisedek ist in Wahrheit der Typus des Priesters des kosmischen Testaments. Nach seiner Ordnung, nicht nach der Ordnung Aarons, des Bundespriesters Israels, wollte Christus Priester sein – und in ihm bin auch ich es.“
Mehr noch, Melchisedek wurde von den Kirchenvätern stets als Vorform von Christus selbst betrachtet. Vor allem hat der Hebräerbrief gezeigt, wie das Priestertum Christi nicht vom Kultpriestertum Aarons und der Priester des Tempels in Jerusalem abstammt, sondern in seiner unübertrefflichen Neuheit mit dem Priestertum Melchisedeks gemäß einem Vers aus Psalm 109 verbunden ist: „Jesus ist nach der Ordnung Melchisedeks Hoherpriester geworden in Ewigkeit“ (Hebr 6,20; vgl. Ps 109,4).
Indem er auf diese Weise die Hindupriester mit der geheimnisvollen Gestalt Melchisedeks und Christus selbst in Verbindung brachte und sich an die Erwähnung des „Opfers, das dir Melchisedek, der Hohepriester, dargebracht hat, als Zeichen des vollkommenen Opfers“ im römischen Kanon der Messe erinnerte, entdeckte Abhishiktananda selbst die kosmische Dimension seines Priestertums und auch den Aufruf, im Messopfer „alles menschliche Gebet, alles menschliche Verlangen, alle wahre menschliche Hingabe, die wahre Suche nach Gott, die sich schließlich in Christus verwirklicht findet“ zu sammeln. Zahlreiche Zeugnisse veranschaulichen diese doppelte Entdeckung. So schrieb er aus seiner Einsiedelei in Uttarkashi an einen Freund:
„Ich sitze wie ein brahmanischer Priester, mit Ritualen wie Wasser-, Räucher- und Feueropfern, und lese jeden Morgen in dem Dachboden meiner Hütte die Messe. Ich lese das Evangelium auf Sanskrit. [...] Denn hier, wie nie zuvor in der Kirche, offenbart sich Christus als Priester ,nach der Ordnung Melchisedeks‘“.
Vor allem aber besitzen wir einen wunderbaren Bericht über die Messe, die Abhishiktananda am 6. Juni 1964 mit Raimon Panikkar in Gangotri zelebrierte, in Eine Messe an den Quellen des Ganges. Welche andere Kathedrale als der Ursprung des heiligen Flusses in den Himalayas könnte besser geeignet sein, um das Priestertum Melchisedeks zu leben? „Wahrlich, es gibt wenige Orte auf der Welt, an denen die Eucharistie mehr erwartet und mystisch vom Geist vorbereitet wird als hier, am Ort der Quellen.“ Hier konnte das Feier ihrer stillen Messe tatsächlich an die jahrtausendealte Suche des Hinduismus anknüpfen, die er durch Brot und Wein mit jener Hingabe vereinen wollte, mit der Jesus sein Leben anbot:
„Das Brot und der Wein, die ich in meiner Messe hier in Gangotri anbieten werde, werden der Ruf all dieser Pilger zu den heiligen Quellen des Himalayas zu Gott sein, all dieser Priester, all dieser Entsagenden, derer von heute, von gestern, von morgen, denn die Eucharistie übersteigt die Zeiten.“
Der Guru
25 Jahre lang, von seiner Ankunft 1948 bis zu seinem Tod 1973, veränderte Indien Abhishiktanandas Vorstellung von seinem Priesteramt grundlegend. Seine neue Umgebung vertiefte natürlich die monastische Dimension seines Priestertums, insbesondere im „quaerere Deum“ – der Suche nach Gott, die er in vielen Hindu-Mönchen so leidenschaftlich entdeckte – und auch im Amt des Schweigens, das er auch in einigen stillen Einsiedlern (muni), die sich ins Herz des Himalajas zurückgezogen hatte, miterlebte. Sein tägliches Leben mit den Hindus vertiefte seine Wahrnehmung des Priestertums und dehnte es durch neue Erfahrungen in ungeahnte Dimensionen aus, wie er seinem Bekenntnis von 1971 schrieb:
„Geweiht für ein ,Amt‘. Aber ein Amt, das über seine sogenannten kirchlichen Manifestationen hinausgeht. Amt im Dienst des Mysteriums, Offenbarung des Mysteriums. Offenbarung an die Menschen ihres eigenen persönlichen Mysteriums und auch des Gesamtmysteriums, des Geheimnisses an sich.“
Dieser letzte Satz zeigt auch, dass eine andere Figur aus der indischen Tradition für die erneuerte Wahrnehmung seines Priestertums ausschlaggebend war: die Figur des Guru, des spirituellen Lehrers.
Einige Monate nach seiner Ankunft in Indien hatte Henri Le Saux die Gnade, im Januar 1949 in Tiruvannamalai Sri Ramana Maharsi (1879-1950) zu treffen, dessen erster Darshan ihm in bleibender Erinnerung blieb:
„In diesem Weisen von Arunachala und dieser Zeit erschien mir der Eine Weise des ewigen Indiens, die nie unterbrochene Linie seiner Weisen, Entsagten und Seher, es war wie die Seele Indiens selbst, die bis zum Innersten meiner eigenen Seele durchdrang und mit ihr in geheimnisvolle Gemeinschaft trat. Es war ein Ruf, der alles zerfetzte, alles spaltete, einen Abgrund weit öffnete...“.
In der Begegnung mit dem Guru, die er zunächst mit Ramana und im Dezember 1955 mit Swami Gnanananda hatte, entdeckte Abhishiktananda klar, dass im Herzen des Priestertums nicht nur ein Geheimnis der liturgischen Vermittlung zwischen Erde und Himmel liegt, sondern auch ein Geheimnis der Übertragung des Geistes, dessen charismatische Gestalt der Guru ist. Dieser wesentliche Aspekt des Priestertums drängte sich ihm immer mehr auf, wie sein Text aus dem Jahr 1966 belegt: „Der Priester, auf den Indien wartet, auf den die Welt wartet.“
Jeder katholische Priester sollte diesen Text, der bis heute nicht gealtert ist, noch einmal lesen. Schon in den ersten Zeilen gab Abhishiktananda den Kern seiner Vision vor:
„Im indischen Kontext kann ein christlicher Priester nur ein Guru sein. [...] Ein Guru ist für einen Hindu nicht irgendein Prediger, der einfach nur das wiederholt, was er von Lehrern gelernt oder in seinen Lehrbüchern gelesen hat, und das bei jedem, der zuhört. Er ist ein Mann, der aus Erfahrung spricht. Der Guru ist derjenige, der die erlösende Lehre vermittelt; und ist es nicht so, dass das Geheimnis der Weisheit nur im Herzen gehört wird, dass die Erfahrung der Erlösung entspringt?“
Gestärkt durch den immer noch lebendigen Eindruck seiner Begegnung mit Ramana konnte Abhishiktananda auch schreiben, dass für einen Christen:
„Der Guru oder spirituelle Lehrer nur derjenige ist, der eines Tages in seinem Herzen dem ,wahren und lebendigen‘ Gott begegnete, von dem die Bibel auf jeder Seite spricht, und der von diesem Moment an und für sein ganzes Leben mit dem Brandmal dieser Begegnung gezeichnet wurde [...]. Der Guru ist derjenige, der in seinem Herzen den Funken des Seins entdeckt hat – keine Abstraktion, sondern das ICH BIN, das sich am Horeb offenbarte – und nicht mehr umhin kann, ihn überall zu erkennen, außerhalb und innerhalb jedes Geschöpfs, jedes Menschen, im Innersten von allem, was ist, von jedem Ereignis, jeder Bewegung des Kosmos, die von der Zeit gemessen wird.“
Sowohl im hinduistischen als auch im christlichen Kontext wird eine solche Erfahrung durch die Gnade des einen Gurus, des Jagadguru, ermöglicht: Gott, der im Herzen wohnt. Das Licht dieses einen Gurus wird jedoch auch von anderen Lichtern weitergeleitet, die auf dem Weg der spirituellen Erfahrung eine Hilfe sind. Dies gilt zum Beispiel für das, was in der indischen Tradition als Gurugrantha bezeichnet wird: die heiligen Schriften. Abhishiktananda sagte über den Priester: „Zweifellos werden ihm die Bücher bei seiner Suche nach dem Wirklichen geholfen haben – vor allem die Bücher, die ihm seine Tradition hinterlassen hat und die ihm, so gut es geht, die Erfahrungen derer vermitteln, die als erste Zugang zum inneren Mysterium hatten.“ Vor allem aber manifestiert sich der eine Guru im Darshan der Weisen, deren Lehre vor allem in der Tiefe des Schweigens stattfindet:
„Zweifellos müssen ihn zunächst Meister unterstützen, denn die Lehre der Erlösung kann man nur von anderen empfangen [...] Diese Lehre ist nicht nur Kommunikation, sie ist Kommunion, wie man in der christlichen Sprache sagen würde. Aber genau hier liegt das große Geheimnis. Die Rolle des Meisters besteht nicht darin, Begriffe zu vermitteln. Es ist vor allem die Aufgabe, den Schüler zu erwecken. Es ist seine Aufgabe, das innere Auge zu öffnen, das Auge, das in das Innere eintaucht und das Geheimnis erkennt. Es geht darum, den Geist des Schülers für den Geist zu öffnen, der in ihm wohnt, für den Geist, der die Tiefen Gottes erforscht und durchleuchtet. Die Worte, die der Guru spricht, gehen zweifellos nach außen von Mund zu Ohr, wie jedes menschliche Wort, das sich notwendigerweise durch die Umgebungsluft ausbreitet. Aber entscheidend ist, dass die Worte des Gurus direkt von Herz zu Herz weitergegeben werden, durch dieses vereinigende Medium, das der Geist ist, die Gemeinschaft aller mit dem ewigen Wort. Und deshalb gilt die Stille in Indien als das bevorzugte Umfeld für Weisheitslehren.“
Es ist offensichtlich, dass Abhishiktananda in diesem Text aus dem Jahr 1966 ein sehr hohes Ideal des Priestertums vermittelte, aber es war für ihn das Maß aller Dinge in Indien, denn „der Priester, auf den Indien wartet, auf den die Welt wartet“, ist auch „der Priester, den Indien hört, den die Welt hört“. Es ist nicht verwunderlich, dass Patrick D’Souza (1928-2014) als junger Bischof von Benares versuchte, Abhishiktananda davon zu überzeugen, zu ihm an den Ganges zu kommen, um ihm bei der Gründung eines „pilot seminary“ zu helfen, in dem katholische Priester ausgebildet werden sollten, die von ihren hinduistischen Brüdern gehört werden können. Vor allem aber wurde dieses Ideal des Priesters als spiritueller Lehrer von Abhishiktananda am Ende seines Lebens auf sehr bewegende Weise mit seinen Schülern gelebt: zwei hinduistischen Brahmanen, Lalit Sharma und Ramesh Srivastava, Schwester Thérèse, einer französischen Karmelitin aus Lisieux, die sich ihm in Indien anschloss, und Marc Chaduc. 1972 vertraute er einem Freund in einem Brief an: „Ich werde mit Therese in Haridwar sein; die nächsten zehn Tage mit Ramesh, dem jungen Hindu, der das Evangelium liest und mir durch eine unerklärliche Erfahrung zeigt, was der Guru für den Schüler bedeutet. Das geht so weit über die spirituelle Führung und sogar über die natürliche oder sogar spirituelle Vaterschaft hinaus.“
Das brennendste Abenteuer Abhishiktanandas als Guru erlebte er mit Marc Chaduc, einem französischen Seminaristen, der 1971 nach Indien kam. Marc war derjenige, der mehr als jeder andere das spirituelle Erbe seines Meisters in sich aufnahm. Am 30. Juni 1973 wurde er bei einer ökumenischen Diksha im Ganges in Rishikesh von Swami Chidananda von der Divine Life Society in die Linie der hinduistischen Sannyasi und von Henri Le Saux in die Linie der christlichen Mönche eingeführt. In rätselhafter Weise war der 30. Juni 1973 auch der Tag, an dem Marc mit seinen Mitseminaristen in Frankreich die Priesterweihe hätte empfangen sollen, doch Indien hatte ihn auf einen anderen Weg geführt, obwohl Abhishiktananda immer noch hoffte, dass er eines Tages Priester werden würde:
„Das Priestertum? Ich habe das Gefühl, dass es im Laufe der Zeit auf dich wartet. Ein sehr spiritualisiertes Priestertum, weit jenseits aller Begrenzungen, ein Priestertum im Geiste. Diese Hingabe deiner selbst an dieses Priestertum wird diese Diksha am Ganges bedeuten, und der Geist wird zu seiner Zeit auf seine Weise darauf antworten.“
Marc Chaduc (1944-1977), der zu Swami Ajatananda wurde, wurde nie Priester, aber in seinem stillen Leben als Sannyasi brachte er das zum Glühen, was den Kern des Priestertums von Abhishiktananda ausmachte: das „quaerere Deum“, „Gott suchen und sich von ihm finden lassen“. Das geheimnisvolle körperliche Verschwinden Marcs vier Jahre nach dem Tod seines Gurus kann übrigens als Illustration einer notwendigen verborgenen Dimension im Herzen des Priestertums wie auch jedes christlichen Lebens gelesen werden:
„Da ihr mit Christus auferweckt seid, trachtet nach dem, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. [...] Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist nun verborgen mit Christus in Gott“ (Kol 3,1.3).
Für Abhishiktananda ist der Priester, wie alle wahren Spirituellen, in der Tat ein Wesen, das in gewisser Weise geheim bleibt. Dieser erstaunliche Gedanke bedeutet, dass das Geheimnis seiner Begegnung mit dem lebendigen Gott vor jeglicher Öffentlichkeit fliehen muss, um nur jenen offenbart und gro.zügig gegeben zu werden, die sich ihm mit einem echten spirituellen Durst nähern. Hier geht es um ein echtes inneres Erkennen, von dem die Hindu-Tradition sagt: „Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Guru“. So konnte Abhishiktananda über den „Priester, auf den Indien wartet, auf den die Welt wartet“, noch schreiben:
„Zweifellos ist er manchmal schon da, dieser Priester, in Indien und ebenso in der Welt; selten auf dem Marktplatz, außer wenn Gott seine Kirche aufrütteln will; meistens versteckt, ignoriert, außer von einigen wenigen, von denen, in denen der Geist Wohnung genommen hat und die wie instinktiv, von eben diesem Geist geleitet, zu ihm gehen.“
Die große vedische Hymne an den Purusha – den Urmenschen – besagt: „Mit drei Vierteln ist der Purusha in die Höhe gestiegen, das vierte Viertel ist hier unten geblieben“ (Rig Veda X, 4). Diese winzige irdische Manifestation des Absoluten mag uns an Eisberge erinnern, deren größter Teil im Wasser verborgen ist. Dasselbe gilt für das Priestertum im Geist, dessen Wesentliches – die Kontemplation des göttlichen Geheimnisses durch Schweigen und Gebet, das „quaerere Deum“ – verborgen bleiben muss, um die Seele seines geistlichen Wirkens im Herzen der Welt zu sein. Dies war die Botschaft des Priestertums von Abhishiktananda:
„Der Mönch verschwindet, geht in das Geheimnis über. Der Priester enthüllt das Geheimnis. Aber wer kann es wirklich enthüllen, ohne darin verloren zu gehen?“
* Erschienen in: Portraits indiens, Médiaspaul 2022.
[1] Yan Vagneux, Le Swami et la carmélite: L’appel de l’Inde. Correspondance 1959-1968, Arfuyen 2022.
Im Laufe der Geschichte „hat Maria diese Dinge in ihrem Herzen bewahrt“
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Kunst und Liturgie
Ruberval Monteiro OSB
Ponta Grossa (Brasilien) / Sant΄Anselmo (Rom)
Professor für Kunst und Liturgie
Im Laufe der Geschichte
„hat Maria diese Dinge in ihrem Herzen bewahrt“
Lukas 2,19
Ein stilles Bild, das spricht
Dilder werden oft als „Dekoration“ einer Kirche, eines Klosters, eines Hauses oder eines beliebigen Raumes betrachtet. Dagegen gilt vielmehr: alle Elemente stehen in ständiger Kommunikation miteinander – nichts ist neutral! Selbst die Leere der weißen Wände hat eine Wirkung auf uns Kinder des Minimalismus, die nicht immer positiv ist. Die frühen Christen verwendeten reichlich Bilder, um ihren symbolischen Inhalt zu vermitteln, der nicht in Konzepte übersetzt werden konnte. Eine weit verbreitete falsche Theorie hat den Eindruck erweckt, dass die Bilderverbote der hebräischen Tradition die frühen Christen daran hinderten, Bilder zu verwenden. Im Gegenteil, ernsthafte Studien[1] und archäologische Funde haben gezeigt, wie in der griechisch-römischen Epoche der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, in der die Kommunikation über Bilder erfolgte, sowohl die Hebräer als auch die Christen, die von den ersteren beeinflusst wurden, diese im Dienste ihres Glaubens und der Verehrung einsetzten[2]. Sie vermittelten einen erfahrungsbasierten und nicht theoretischen Zugang zum unaussprechlichen Geheimnis. In diesem kurzen Artikel werden wir ein ikonografisches Modell betrachten, das während des gesamten ersten Jahrtausends verwendet wurde und auch heute noch von Bedeutung ist.
Der in Ravenna gefundene Sarkophag von Pignatta aus dem 5. Jahrhundert trägt auf seiner kürzeren Seite die primitive Figur einer prächtigen Verkündigung: Maria ist links auf einer Art Thron sitzend dargestellt, fast vollständig in einen weiten Mantel gehüllt, und widmet sich der Tätigkeit, einen senkrecht aufgerichteten Faden zu weben. Rechts vor ihr steht der Engel, leicht zur Mitte geneigt, mit majestätischen Flügeln, die eine Art Mandorla bilden; seine rechte Hand scheint eine Schriftrolle oder einen Reisestaffelstab zu halten (die Figuren sind stark beschädigt) und zeigt auf Marias erhobene Hand, während seine Linke auf den großen Weidenkorb mit der purpurrot gefärbten Wolle gerichtet ist. Der rechte Arm Marias ist verschwunden, aber das Zeichen ihrer Hand, die sich horizontal zum Engel hin bewegt, ist noch vorhanden.
Die Jungfrau, die Wolle spinnt
Diese Ikonografie ist von der apokryphen Tradition inspiriert, nach der Maria bei der Ankunft des Engels Gabriel Wolle spinnt, um den neuen Vorhang für den Tempel in Jerusalem zu weben:
„Einige Zeit später fand eine Ratsversammlung der Priester statt und sie sagten: ,Es muss ein Zelt für den Tempel des Herrn gemacht werden.‘ Der Hohepriester befahl: ,Ruft mir junge, makellose Mädchen aus dem Stamm Davids‘. (...) Der Hohepriester erinnerte sich an Maria, eine Jungfrau aus dem Stamm Davids, die in den Augen Gottes ohne Makel war. Auch die Diener gingen hin und suchten sie. Sie führten sie alle in den Tempel des Herrn, und der Hohepriester sagte zu ihnen: ‚Werft das Los, wer Gold und Silber, feine Leinwand, Seide, Hyazinth, Scharlach und Purpur spinnen soll.‘ Das Los fiel auf Maria. So nahm sie das echte Purpur und das Scharlachrot und kehrte in ihr Haus zurück. (...) Dort nahm Maria die Scharlachwolle, spann sie und machte daraus Garn.
Eines Tages nahm Maria ihren Krug und ging hinaus, um Wasser zu schöpfen. Und siehe, eine Stimme sprach: ,Sei gegrü.t, du Begnadete! Der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen‘. Sie schaute sich nach links und rechts um, woher die Stimme kam. Ganz zitternd ging sie nach Hause, stellte den Krug ab, nahm die violette Wolle, setzte sich auf ihren Schemel und spann sie (...) Maria verarbeitete den Purpur und das Scharlachrot zu Ende und brachte es dem Priester. Und der Priester segnete sie mit den Worten: ,Maria, Gott, der Herr, hat deinen Namen verherrlicht, und du wirst gesegnet sein unter allen Geschlechtern der Erde‘[3].
Dieser gesponnene Faden taucht häufig in der westlichen und östlichen byzantinischen Kunst auf. Erst nach dem Mittelalter verschwand dieses Detail aus der westlichen Ikonografie, blieb aber in der byzantinischen Ikonografie erhalten. Die Frage, die sich stellt, ist die nach dem Grund für dieses unbiblische Detail und der Bedeutung seiner Darstellung. Der Verweis auf den Text der Apokryphen reicht nicht aus, um die Darstellung zu rechtfertigen, da die frühchristliche Kunst nicht zeigen will, wie die Dinge in der Vergangenheit waren (historische Sicht), sondern ihre Bedeutung für die Gegenwart.
Dieses kleine Zeichen ist mit einem reichen Inhalt beladen. Das Spinnen von Wolle ist eine für die Menschheit sehr alte Geste: Die verschiedenen Fasern der Wolle werden mithilfe der Spindel und einer zarten Geste der Finger, die die Vielzahl der Fasern kontrollieren, um Gleichmäßigkeit zu schaffen, zu einem einzigen Faden zusammengeführt, der dann nach und nach auf die Spule gewickelt wird. Diese Tätigkeit, die bei den Frauen der alten vorindustriellen Welt weit verbreitet war, wird seit den ersten Jahrhunderten von den Christen als großartiges Symbol für das Geheimnis der Menschwerdung verstanden, in dem in der heiligen Kreisbewegung der Spindel die menschliche Materie im Schoß der Jungfrau Maria zum fleischgewordenen Wort Gottes wird. In ihrer Hand hält sie den Faden in kaiserlicher Purpurfarbe, den sie gesponnen hat: Ihre Aufgabe wird es von nun an sein, „der Webstuhl des Fleisches Gottes“ zu werden, wie es der heilige Proklos von Konstantinopel († 447) metaphorisch formulierte. Über das Geheimnis der Inkarnation können wir uns nur mit Symbolen ausdrücken, denn menschliche Worte und Begriffe sind dazu nicht in der Lage. Papst Benedikt XVI. hat es treffend formuliert:
„Der Evangelist Lukas wiederholt mehrmals, dass Maria in aller Stille über diese außergewöhnlichen Ereignisse nachdachte, in die Gott sie einbezogen hatte. ,Maria bewahrte diese Dinge, indem sie in ihrem Herzen darüber nachdachte‘ (Lk 2,19). Das verwendete griechische Verb symbállousa bedeutet wörtlich ,versammelnd‘ und deutet auf ein großes Geheimnis hin, das es nach und nach zu entdecken gilt.“[4]
Im westlichen Mittelalter wurde die Ikonografie des Spinnens von einem anderen Bild abgelöst, das der handwerklichen Geste der Garnherstellung sehr nahe kommt: der Psalmodie! Maria hält den Psalter in ihren Händen und „vereint“ das Wort und das Leben. Diese „Verbindung“ lässt uns verstehen, dass das Geheimnis der Inkarnation nicht etwas ist, das einmal in der Zeit geschehen ist, sondern sich durch das ganze Leben hindurch fortsetzt, das Leben der Jungfrau Maria, das Leben der Kirche und unser eigenes, durch das ganze Kirchenjahr hindurch, das uns lehrt, alle Fasern unserer persönlichen, gemeinschaftlichen und kirchlichen Geschichte zusammenzuführen – ohne etwas auszuschließen –, um einen Faden zu schaffen, der bis zum Einzelstück vor dem Sancta Sanctorum reichen wird. Der Vorhang oder Schleier symbolisiert die Offenbarung eines verborgenen Geheimnisses[5], die Schwelle zur Ewigkeit.
Die handwerkliche Arbeit des „symbolischen“ Verspinnens der historischen Ereignisse mit den Psalmen, Propheten und dem Evangelium setzt die Arbeit der Kirchenväter fort, indem sie die Heilsgeschichte mit ihrem Beitrag an den Grenzen des Jetzt und des Noch-nicht verweben.
Der Ablauf der liturgischen Zeit vereint uns als menschliche Wesen, die in uns selbst und mit anderen in das Gewebe einer Geschichte eingebunden sind, die mit fortschreitender Zeit unser Verständnis übersteigt. Die liturgischen Feste mit Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Liebe zu feiern, ist immer ein Weg, aus uns selbst herauszutreten und uns aus uns selbst herausführen zu lassen, um unseren eigenen persönlichen Weg in einem größeren und damit noch wahrhaftigeren Kontext zu kontextualisieren. Jedes Mal, wenn wir ein Fest oder ein Stundengebet feiern, sowie das Sprechen von Gebeten, die den Wendepunkt der Tage in unserem Leben markieren, erfahren wir uns als Teil eines Projekts, das größer ist als unsere Gefühle, Emotionen, Wünsche und Frustrationen. „Die Liturgie hat einen therapeutischen Wert für all das, was in uns die Gefahr birgt, dass wir uns in uns selbst zurückziehen und uns den Möglichkeiten der Ausdehnung und des Wachstums im Leben verschließen.“[6]
Die Ikonographie der frühen und mittelalterlichen Verkündigung erweist sich im Licht der großen Tradition als wirksames Symbol für die Betrachtung des christologischen Mysteriums an sich sowie als Methode für eine aktive Teilnahme an der liturgischen Feier, die ein wahrer Gottesdienst für unsere Vereinigung als und mit dem Leib Christi ist. Schließlich ist Gott, dem symbolischen Bild folgend, selbst der göttliche Weber!
[1] A. GRABAR, Recherches sur les sources juives de l’art paléochrétien I“, in: Cahiers Archéologiques XI, Paris 1969, 58-71; A. Grabar, Le vie della creazione nell’iconografia cristiana. Mailand 1983, 5.
[2] Cf. P. PRIGENT, L’image dans le judaïsme du IIe au VIe siècles, Labour et Fides, Genf 1991, 23-42.
[3] Protoevangelium des Jakobus 10-12.]
[4] Benedikt XVI., Predigt bei der Messe zum Hochfest der Gottesmutter Maria und zum 41e Weltfriedenstag, 1. Januar 2008.
[5] H. Papastavroup, Le voile, symbole de l’Incarnation – Contribution à une étude sémantique, Cahiers archéologiques 41, Paris 1993, 141-168.
[6] M. Semararo, La messa quotidiana, Juli, EDB, Bologna 2015, 308.
Reise ins Heilige Land
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Berichte
Reise ins Heilige Land
April bis Mai 2023
Jean-Pierre Longeat OSB
Präsident der AIM
Montag, 24. April 2023
Besser spät als nie! Es ist das erste Mal, dass ich ins Heilige Land reise, obwohl ich schon so viele Reisen durch die ganze Welt unternommen habe. Aber ist es nicht besser, etwas reifer zu sein, um ein solches Abenteuer anzugehen? Auf jeden Fall bin ich in einer völlig offenen Herzenshaltung, um diesen entscheidenden Schritt zu erleben. Ich fahre mit Pater Andrea Serafino aus Novalesa (Italien), Mitglied des internationalen AIM-Teams, und Olivier Dumont, Schatzmeister der Vereinigung der Freunde von Klöstern in aller Welt (AMTM).
Die Reise verlief ohne Schwierigkeiten und wir wurden in Tel Aviv von Pater Christian-Marie von der Abtei Latrun erwartet. Dieses Kloster hat gerade einen wichtigen Moment erlebt: Die Gemeinschaft hat vor kurzem den Abt gewechselt, Dom René hat sein Amt abgegeben und Dom Guillaume Jedrzejczak, emeritierter Abt von Montsdes- Cats, außerdem Präsident der Stiftung für Klöster und seit kurzem Verwalter der Abtei Sept-Fons (Frankreich), ist gerade vom Trappistenorden zum Abt der Gemeinschaft ernannt worden. Denn in der Tat befinden wir uns hier in einer Trappistengemeinschaft. Dom Guillaume ist nicht ständig im Kloster anwesend und Pater Christian-Marie trägt als Prior die Verantwortung für den Alltag der Gemeinschaft.
Die Abtei Latrun liegt 15 Kilometer westlich von Jerusalem, an der Grenze zwischen dem Westjordanland und Israel. Sie ist für ihren Wein berühmt! Die Abtei wurde 1890 von Trappistenmönchen gegründet, die aus der Abtei Sept-Fons in Frankreich kamen. Sie legten 1898 den ersten Weinberg an, dem bald Rodungsarbeiten und die Anpflanzung von Olivenbäumen, Weinreben, Getreide und Zitrusfrüchten folgten. Die Ordensleute wurden während des Ersten Weltkriegs vertrieben. Der Ort war während der Schlacht von Latrun 1948 Gegenstand heftiger Kämpfe und kam nach dem Krieg unter jordanische Herrschaft; derzeit befindet sich das Kloster auf israelischem Gebiet. Weniger als einen Kilometer östlich der Abtei befindet sich die Stätte Emmaus Nikopolis, eine der Stätten, die oft als Standort des Emmaus des Evangeliums genannt wird.
Als wir am späten Nachmittag im Kloster ankamen, hatten wir gerade noch Zeit zum Abendessen und begaben uns dann sofort in den Kapitelsaal zu einem Treffen mit der Gemeinschaft, um über aktuelle Themen der AIM zu sprechen. Um den Sinn unserer Reise zu unterstreichen, betonte ich erneut, wie wichtig es für die Klöster sei, sich einander anzunähern und sich gegenseitig zu helfen. In diesem Land Israel gibt es sechs Gemeinschaften der benediktinischen Familie. Es wäre wirklich hilfreich, wenn sie regelmäßig Treffen zur Beratung, Ausbildung und zum Dialog anbieten könnten, wie es sie auch in anderen Teilen der Welt gibt.
Dienstag, 25. April
Am Dienstag, den 25. April, stehen wir um 4.15 Uhr für die Vigilien auf und feiern um 6.30 Uhr die Messe und die Laudes. Am Vormittag besichtigen wir das Kloster. Die Gebäude, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts errichtet wurden, sind imposant und ganz aus Stein gebaut. Leider beeinträchtigt der lehmige Untergrund die Stabilität des Baus. Die Mauern weisen auf allen Seiten fortschreitende Risse auf. Dies führt zu umfangreichen und teuren Arbeiten.
Die Gemeinschaft umfasst etwa 20 Mönche. Sie hängen an diesem Ort und möchten gerne dort bleiben, auch wenn einige die Unterhaltskosten als unverhältnismäßig hoch empfinden. Auf jeden Fall wird das Kloster heute sehr gut geführt, in der Hoffnung, dass dies den Anforderungen der Zukunft gerecht wird.
Das Anwesen besteht aus etwa 100 Hektar, von denen ein Teil mit Weinreben und Olivenbäumen bewirtschaftet wird. Das Kloster produziert daher Olivenöl und einen berühmten Wein. Die Weinkellerei befindet sich in den Gebäuden des alten Bauernhofs, der bereits vor dem Kloster bestand, rund um ein einfaches Gebäude, das als Herberge für Pilger diente.
Nach der Besichtigung des Geländes und der Mittagshore teilen wir das Mittagessen mit den Mönchen. Der Tisch ist reichlich gedeckt, auch wenn es, wie es sich bei Trappisten gehört, kein Fleisch gibt; an Wein mangelt es dagegen nicht und als Nachtisch wird uns zu Ehren ein Nusskuchen serviert.
Nach einem ausführlichen Treffen mit Pater Christian-Marie brechen wir am Nachmittag zur Abtei Abu Gosh auf. Bei unserer Ankunft werden wir von Pater Louis-Marie Coudray, dem derzeitigen Oberen, brüderlich empfangen. Wir verbringen eine lange Zeit mit ihm und Pater Christian-Marie, um über die verschiedenen Aspekte unserer Reise und den Kontext der Klöster der Benediktinerfamilie im Heiligen Land zu sprechen. Es wäre interessant, die Beziehung zwischen den verschiedenen Gemeinschaften zu stärken, um sich insbesondere gemeinsame Aktionen, gegenseitige Unterstützung, Absprachen oder einfach den direkten Austausch von Informationen vorzustellen. In dieser Hinsicht kann unser Besuch eine Ermutigung sein.
Das Läuten der Vesper ruft uns in die romanische Kirche, wo wir die Schwestern der mit den Mönchen vereinten Gemeinschaft treffen: Wir singen die Vesper in zwei Chören (Männer und Frauen) und tauschen uns kurz mit der einen oder anderen Schwester aus. Wir planen mit Mutter Priorin unsere Expedition morgen früh nach Bethlehem.
Mittwoch, 26. April
Wir fahren um 9 Uhr mit einer Schwester aus der Gemeinschaft von Abu Gosh, die eine Besorgung machen muss, nach Bethlehem. Sie führt uns zunächst zum Feld der Hirten. An diesem Ort haben angeblich die Hirten des Evangeliums durch die Botschaft der Engel die Verkündigung der Geburt Jesu gehört. Das arabische Dorf Beit- Sahur, das inmitten der Felder von Booz liegt, wie im Buch Ruth berichtet wird (Rt 3,5), wird in der Tradition mit dem Feld der Hirten in Zusammenhang gebracht Es sind nicht allzu viele Pilger vor Ort, wir können in einer Höhle Andacht halten und die Berg- und Wiesenlandschaft am Rande der Stadt Bethlehem bewundern.
Anschließend begeben wir uns zur Basilika, die bereits von Touristen überlaufen ist. Im Inneren betrachten wir die wunderschönen Fresken, die erst kürzlich restauriert wurden. Die Geburtsbasilika ist eine der ältesten Kirchen der Welt und wurde der Überlieferung nach an dem Ort errichtet, an dem Jesus von Nazareth geboren sein soll. Sie wurde im 4. Jahrhundert von Kaiser Konstantin I. errichtet und im 6. Jahrhundert unter Justinian restauriert. In der Folgezeit wurde sie mehrfach umgebaut. Heute wird sie von Orthodoxen, Armeniern und Lateinern verwaltet.
Wir beten eine Weile abseits der Menschenmenge in der Pfarrkirche St. Katharina. An meinem Geburtstag bitte ich darum, von oben wiedergeboren zu werden, so wie Jesus den alten Nikodemus einlädt. Dies ist ein besonders intensiver Moment.
Wir gehen dann zu einem Händler für religiöse Gegenstände, den uns die Schwester aus Abu Gosh vorgestellt hat, und der schließlich anbietet, uns selbst zu den Benediktinerinnen von Emmanuel zu führen. Sie haben sich in der Nähe der Trennmauer zwischen Israel und Palästina niedergelassen; der Checkpoint ist nicht weit entfernt und niemand kommt wirklich gerne in diese Gegend, wo unerwünschte Personen von den Polizisten streng kontrolliert werden. Aber schließlich geht alles gut und wir betreten den Hof des Klosters kurz vor Mittag.
Dort gibt es eine sehr kleine Gemeinschaft von nur vier Schwestern, die der Kongregation Maria, Königin der Apostel (Rixensart, Belgien) angehören. Die Gemeinschaft folgt dem orientalischen Ritus. Die Geschichte des Klosters begann in Algerien am Ende des Zweiten Weltkriegs, ganz in der Nähe des Klosters von Tibhirine. Da die Umgebung mehrheitlich arabisch-muslimisch ist, beteten die Benediktinerinnen die Gottesdienste auf Arabisch. Auf Bitte von Patriarch Maximos V. stimmten sie zu, sich im Heiligen Land niederzulassen, wo das melkitische Klosterleben trotz einer großen Gemeinschaft im Verschwinden begriffen war. Nachdem ihnen eine Familie aus Bethlehem ein großes Grundstück auf einem der Hügel rund um die Geburtsgrotte geschenkt hatte, von dem aus man einen herrlichen Blick auf das Jordantal und die Berge von Moab hatte, konnten sie mit Unterstützung ihrer Kongregation den Grundstein legen. Die Schwestern, die zu dritt waren, feierten 1963 in der kleinen Kapelle die erste orientalische Liturgie. Von den vier Schwestern der derzeitigen Gemeinschaft studiert eine im Rahmen des STIM in Frankreich. Die Schwestern sind also nur noch zu dritt vor Ort und profitieren dabei von der Anwesenheit einer Laiin, die mit der Gemeinschaft vertraut ist.
Mutter Marthe, die Priorin, empfängt uns mit offenen Armen. Sie führt uns direkt in die Kirche, in der die Mittagshore stattfinden soll. Die Kapelle ist mit Fresken bedeckt, die von Schwester Marie- Paul aus dem Kloster Kalvarienberg auf dem Ölberg gemalt wurden. Die Wirkung ist überw.ltigend. Das Stundengebet wird sehr schlicht in einer sehr geistlich dichten Atmosphäre gesungen. Wir verlassen den Ort mit einem Herz voller Hoffnung.
Mutter Martha hat das Mittagessen selbst zubereitet und wir nehmen uns während der Essenszeit Zeit, um mit ihr und Schwester Anna Maria sowie einer Frau, die im Kloster mitlebt, zu sprechen.
Es fehlt Schwester Benedikta, die eine Gruppe französischer Pilger begleitet. Es handelt sich um junge Studenten. Wie viele andere Gruppen, die aufgenommen werden, sind sie auf dem Gelände untergebracht und schlafen in einem großen Saal auf dem Boden. Die Gastfreundschaft nimmt neben der Ikonenwerkstatt und der Herstellung von Marmelade oder anderen Lebensmitteln einen wichtigen Platz im Leben des Klosters ein.
Die Präsenz in der Nähe der Trennmauer zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten verleiht dieser Gemeinschaft eine besondere Prägung. Die Schwestern sind weder auf der einen noch auf der anderen Seite, sie bleiben im Zwischengebiet und beten für alle. Sie haben Verbindungen zu beiden Seiten und versuchen immer, mit allen Mitteln auf Versöhnung hinzuarbeiten.
Mutter Marthe erklärt uns die Bedeutung der Zugehörigkeit der Gemeinschaft zum griechisch-katholischen Ritus für die Schönheit und den Sinn des Heiligen. Wir teilen ihre Auffassung, dass selbst ihre Zerbrechlichkeit ein unbestreitbares Glaubenszeugnis ist.
Schwester Anna Maria kommt aus Rumänien. Sie hatte ein sehr buntes Leben: Sie war orthodoxe Nonne in ihrem Land und wurde schließlich von der Botschaft der Schwestern von Bethlehem berührt, als diese eine Reise zu den rumänischen Klöstern unternahmen. So schloss sie sich ihnen schließlich an.
Wir verlassen das Kloster und fühlen uns angerührt von diesem Moment der Gnade. Mutter Marthe führt uns durch die Anlage und wir stellen erfreut fest, dass der Garten genauso schön ist wie die Klostergebäude angelegt ist, beides in einer sehr einfachen Anordnung.
Mutter Marthe hat für uns einen befreundeten Fahrer organisiert, der uns nach Abu Gosh zurückbringen wird. Er ist ein palästinensischer Christ. Er spricht nicht fließend Französisch und es fällt uns etwas schwer, ein richtiges Gespräch zu beginnen. Wir sind beeindruckt von seinem Wohlwollen und seiner Hilfsbereitschaft.
Am Abend nach der Vesper teilen wir ein festliches Essen mit den Brüdern in Abu Gosh, bei dem wir ein wenig über AIM sprechen. Am Ende des Essens werde ich mit einer Torte zu Ehren meines Geburtstags überrascht. Die Atmosphäre ist mehr als brüderlich. Wir tauschen uns lange aus, wir sind glücklich!
Donnerstag, 27. April
Am Morgen des heutigen Tages besichtigen wir das Kloster. Ursprünglich befand sich hier eine Herberge, eine Karawanserei, die auf den Überresten des im 9. Jahrhundert während der arabischen Zeit verlassenen römischen Lagers errichtet wurde. Damals diente es als Überwachungspunkt auf der Straße nach Jerusalem. Zu dieser Zeit erhielt das Dorf den Namen Karyat el-Anab. Im 12. Jahrhundert bauten die Kreuzritter, die den Ort mit dem Emmaus der Evangelien identifizierten, an dieser Stelle eine Kirche und ein Kloster. Diese wurden mehrmals von muslimischen, türkischen und anderen Armeen zerstört. Nach Verhandlungen unter Kaiser Napoleon III. wurde das Land 1875 Frankreich geschenkt. Die französischen Behörden restaurierten die Anlage nach und nach und übergaben das Kloster nacheinander den Franziskanern, den Lazaristen und schließlich den olivetanischen Benediktinermönchen. Letztere wurden 1976 von der Gemeinschaft von Le Bec-Hellouin entsandt und bald darauf durch die Oblatenschwestern von Sainte-Françoise-Romaine ergänzt. Bis heute dient die Quelle von Eïn-Marzouk als Krypta des Klosters. Während des israelisch-arabischen Krieges wurde das Kloster von der Harel-Einheit als improvisierte Krankenstation genutzt.
Im Dorf Abu Gosh befindet sich eine der größten modernen Moscheen der Region. Sie erhebt sich an der Seite des Klosters.
Am späten Vormittag treffen wir uns mit der Gemeinschaft der Schwestern, um mit ihnen in ihrem Refektorium das Mittagessen zu teilen. Anschließend haben wir ein Treffen mit der gesamten Gemeinschaft. Sehr guter Austausch mit vielen Fragen, die uns die Vielfalt der Mitglieder der Gemeinschaft erahnen lassen.
Gegen 16 Uhr werden wir nach Jerusalem auf den Ölberg zur Gemeinschaft der Schwestern vom Kalvarienberg gebracht. Wir werden sehr geschwisterlich empfangen und nehmen sofort an der Vesper teil. Die Gemeinschaft ist klein, aber spürbar fromm. Schon bei der Ankunft war ich von der Intimität dieses Ort, an den sich Christus mit seinen Jüngern zurückzog, überw.ltigt. Es ist ein besonderer, reservierter Ort, den es zu schützen gilt.
Wir essen im Gästehaus mit zwei jungen Helfern zu Abend, von denen einer, ein Junge, seit mehreren Monaten hier ist und der andere, ein Mädchen, gerade zwei Monate vor Ort verbracht hat und nun nach Frankreich zurückfliegen wird. Die Gemeinschaft praktiziert gerne diese Art von Gastfreundschaft, die es Menschen ermöglicht, eine einzigartige menschliche und spirituelle Erfahrung zu machen und gleichzeitig am Leben des Ortes teilzunehmen.
Am Abend bewundern wir hoch über dem Garten der Schwestern das Panorama der Altstadt mit dem Tempelplatz, der Kuppel der Großen Moschee und den verschiedenen Glockentürmen, die bis zum Horizont reichen. Auf der rechten Seite unterhalb befindet sich der jüdische Friedhof, auf dem die Toten auf die Ankunft des Messias in diesem Kidrontal warten.
Freitag, 28. April
Den Vormittag verbringen wir damit, die Umgebung des Klosters zu erkunden. Wir gehen zu den russischen Schwestern in der Nähe des mutmaßlichen Ortes der Himmelfahrt. Es leben dort etwa 40 Nonnen. Ihr Stil unterscheidet sich sehr von dem westlicher Ordensleute. Sie wohnen in kleinen Häusern, die über ihr gesamtes Gelände verteilt sind, und Pilger und Touristen können kommen und gehen, wie sie wollen. Wir fühlen uns hier wie in einem kleinen Dorf. Wir treffen auf eine ukrainische Schwester, die den Garten pflegt und sich um ihren Vater kümmert, der im Rollstuhl sitzt, sehr alt und völlig taub und blind ist; er ist Priester, wie uns gesagt wird. Er sieht aus wie ein alter Starez. Sie sind aus der Ukraine geflohen und haben in diesem Kloster in Jerusalem Zuflucht gefunden. Wir treffen auch die Kantorin der Gemeinschaft, die aus Jordanien stammt, und Schwester Myriam, die Französin ist. Ein schöner geschwisterlicher Austausch, der uns einen Eindruck von der Tiefe ihres Lebens gibt.
Wir kommen an der Moschee vorbei, in der sich der Fußabdruck von Jesus (zum Zeitpunkt der Himmelfahrt) befindet. Wir schlendern durch die Straßen des arabischen Dorfes, die das Kloster der Schwestern vom Kalvarienberg umgeben.
Nach dem Mittagessen nehmen wir uns lange Zeit, um uns mit den Benediktinerinnen auszutauschen. Sie erläutern uns ihre Situation und die Herausforderungen, die sich aus ihrer Präsenz an diesem Ort ergeben. Sie erläutern ihre Projekte. Bei ihrem letzten Generalkapitel haben sie sich eine Frist bis 2024 gesetzt, um eine Lösung für die Lebensfähigkeit vor Ort zu finden. Es bleibt abzuwarten, ob sich in den nächsten Monaten konkrete Wege auftun oder auch nicht, die es ihnen ermöglichen würden, ihre Situation beim Generalkapitel im Jahr 2024 positiv darzustellen. Hilfe oder Zusammenarbeit mit anderen benediktinischen Kongregationen oder Gemeinschaften scheint schwierig zu sein; vielmehr will man sich an Laien wenden, die bereit sind, sich in Gemeinschaft mit den Schwestern zu engagieren, um die Herausforderung einer aktiven Präsenz an diesem Ort anzunehmen. Ansonsten würde man das Kloster einer anderen Frauenkongregation anbieten, sofern sich eine solche finden lässt. Auf jeden Fall wäre es wichtig, eine christliche Präsenz an diesem geschützten Ort auf dem Ölberg aufrechtzuerhalten.
Anschließend machen wir uns auf den Weg zum Haus Abrahams, wo ein Treffen der Leiterinnen der kontemplativen Frauengemeinschaften des Heiligen Landes stattfindet. Wir gehen zu Fuß dorthin, vorbei an den Gräbern des jüdischen Friedhofs, mit einem beeindruckenden Blick auf das Tal, die Davidstadt und das alte Jerusalem. Das „Haus Abraham“ war früher ein Kloster, das die Mönche von Belloc im 19. Jahrhundert gegründet hatten. Das Gebäude wurde vollständig restauriert. Es erfüllt eine wichtige Aufnahme mit seiner Bestimmung, Pilger aller Konfessionen und Religionen aufzunehmen, die sich eine Hotelunterkunft nicht leisten können.
Im Haus leben zwei Ehepaare, von denen das eine das Haus leitet. Zur Zeit befinden sich hier etwa 15 Ordensfrauen, Benediktinerinnen, Karmelitinnen, Schwestern der Seligpreisungen und aus Bethlehem. Sie treffen sich regelmäßig zu einem ausgesuchten Thema und praktischen Fragen, die ihr Leben betreffen (Verwaltung, Arbeiten, Finanzierung...). Ich stelle die AIM vor, unterstützt von meinen beiden Begleitern, und es tauchen viele Fragen auf. Wir sprechen das Thema der hohen Unterschiedlichkeit in der von den Schwestern gebildeten Gruppe an. Diese Art von Treffen ist auf jeden Fall eine Ermutigung, darüber hinaus ein oder zwei Mal im Jahr ein Treffen der benediktinischen Oberen und Oberinnen in Betracht zu ziehen. Das ist dann auch mein Vorschlag.
Samstag, 29. April
Heute machen wir uns nach dem Mittagessen auf den Weg zur Dormitio Abtei. Wir gehen zu Fuß dorthin und durchqueren erneut das Tal der Gehenna, wir besuchen St. Peter von Alicante und halten an der Klagemauer, wo ich aus der Ferne, die Stirn auf das äußere Gitter gelegt, intensiv für den Frieden bete; wir gehen am Abendmahlssaal vorbei, der natürlich eine bunte architektonische Geschichte hat. Wir halten einen Moment lang eine ergreifende Andacht. Dann gehen wir hinunter zum Grab von David. Ich bin an diesem Ort berührt, da David für mich eine der biblischen Figuren ist, auf die ich mich besonders gerne beziehe. Schließlich erreichen wir das imposante Dormitio-Kloster.
Wir treffen auf den Oberen Nikodemus Schnabel, der gerade eine Gruppe verabschiedet hat. Er nimmt sich fast zwei Stunden Zeit für uns. Wir sprechen über alle möglichen Themen: Die Geschichte und das Leben des Klosters, die Bedeutung der deutschen Sprache und Kultur für das Kloster, die es von anderen hiesigen Klöstern mit eher französischer Kultur unterscheidet; die Bildungsarbeit mit etwa 20 Studenten, die zu einem theologischen Studienjahr kommen; die Renovierungsarbeiten des Klosters, deren Kosten vollständig von Deutschland getragen werden, da der Eigentümer der Heilig-Land-Verein der Erzdiözese Köln ist; der zweite Standort in Tabgha, ein echtes spirituelles Zentrum am See Genesareth, am Ort der Brotvermehrung, und tausend andere Dinge.
Wir besichtigen die Renovierungsarbeiten des Klosters, die alle Gebäude betreffen; es handelt sich um ein ehrgeiziges Projekt, das in wenigen Monaten abgeschlossen sein wird. Es ist geplant, dass die Kirche für die Abtsweihe von P. Nikodemus am Pfingsttag wieder offen sein soll.
Wir nehmen an der Vesper teil. Es sind nur drei Mönche anwesend, da von den anderen neun Mönchen einige im Kloster Tabgha sind und andere hier und dort im Einsatz sind. Der Gottesdienst findet in der Krypta statt, die der Entschlafung der Jungfrau Maria gewidmet ist. Eine Darstellung der Jungfrau Maria thront auf beeindruckende Weise in der Mitte des Raumes. Während der Bauzeit werden hier die Gottesdienste abgehalten. Natürlich wird alles auf Deutsch gesungen, auf eine sehr angenehme Art und Weise in einer gro.zügigen Akustik.
Anschließend essen wir mit den drei Brüdern und Schwester Gabriele vom Ölberg, die uns heute Nachmittag geführt hat, zu Mittag. Danach verabschieden wir uns sofort, da Abt Nikodemus sich auf die Abreise nach Deutschland am frühen Morgen des nächsten Tages vorbereiten muss.
Auf dem Rückweg durchqueren wir die Altstadt und gehen zur Grabeskirche, die glücklicherweise geöffnet ist. Im Inneren befinden sich viele Menschen. Ich verehre den Salbungsstein am Eingang, der gut zugänglich ist. Wir beten vor dem Grab, ein immer wieder beeindruckender Moment, von dem man sich wünscht, dass er nie aufhört. Aber es sind viele Menschen anwesend, und die Andacht ist etwas schwierig. Wir gehen dann zur Kapelle der hl. Kaiserin Helena, wo gerade die Gruppe Harpa Dei singt, deren musikalische Errungenschaften mich interessieren. Sie singen die Vesper und ich stimme begeistert in ihr Gebet ein. Die Schwestern kennen diese Gruppe und wir können sie morgen früh treffen. Wir laufen noch ein Stück und fahren dann erschöpft mit einem Taxi nach Hause.
Sonntag, 30. April
Nachdem wir die Messe zum Guten Hirten gefeiert haben, brechen wir nach Jerusalem auf, um am Nachmittag an dem Treffen teilzunehmen, das wir mit den Superiorinnen und Superioren der Klöster geplant haben. Dieses Treffen wird in Abu Gosh stattfinden. Wir müssen mit dem Bus dorthin fahren und dabei die Altstadt von Jerusalem durchqueren.
Zunächst machen wir eine Station an dem Ort, an dem Judas Jesus verraten und die Verhaftung stattfand. Dort befindet sich eine kleine Basilika am Fuße des Ölbergs. Ich bin beeindruckt von der Intensität der Emotionen, die mich an diesem Ort erfassen: Ich fühle mich wie in einem riesigen Schwindelgefühl. Ich möchte mich auf den Boden werfen und Gott um Vergebung für all unsere und meine Fehler bitten. Dann geht es weiter zum Garten Gethsemani und der angrenzenden Basilika im Art-déco-Stil.
Anschließend halten wir in St. Anna, dem angeblichen Geburtsort der Jungfrau Maria. Diese Kirche und die Gebäude um sie herum werden von den Weißen Vätern betreut. Wir werden von einem von ihnen empfangen, dessen Aufmerksamkeit und Einfachheit besonders beeindruckend ist.
Anschließend gehen wir zur Grabeskirche, wo wir zunächst zu den Äthiopiern im oberen Teil gelangen. Wir sind mit zwei Mitgliedern der Gruppe Harpa Dei verabredet. Die Diskussion ist sehr anregend. Diese Band reist durch die ganze Welt und möchte durch ihre Musik missionarisch wirken. Sie sollen bald nach Frankreich in die Region Normandie kommen. Ich überlege, sie zu einem Konzert in mein Kloster Ligugé zu holen. Ihr Gesang kann dazu beitragen, das klösterliche Gebet zu inspirieren. Das von ihnen gesungene Offizium nimmt Züge einer Offenbarung an und selbst Nicht-Christen werden von seiner Schönheit erfasst.
Wir steigen dann in den unteren Teil der Basilika hinab und kommen bei den Kopten vorbei, wo man aus dem Stein gehauene Gräber sehen kann, die dem Grab ähneln, in dem Christus begraben wurde. Das ist beeindruckend. Auf dem Weg nach draußen treffen wir auf Pater Stephan, einen französischen Franziskaner, der „zufällig“ in Ligugé Exerzitien gemacht hat, bevor er sich den Franziskanern anschloss. Er ist Teil der Gemeinschaft, die dem Heiligen Grab zugeteilt ist. Er erklärt uns mit Begeisterung, wie dieser Ort die Vielfalt des Leibes Christi durch all die Menschen zeigt, die ihn besuchen kommen. Die Besucher sind ganz unterschiedlich, wissen nicht immer, was sie suchen oder wollen, aber sie repräsentieren das Gewimmel des Leibes der von Christus geretteten Menschheit. So sehr die Wüste den Vater offenbart, Galiläa den Sohn, so sehr ist es hier der Heilige Geist, der sich in einem ständigen Pfingsten offenbart!
Wir essen eine Pizza in einem Restaurant in der Neustadt und steigen dann in den Bus, der uns nach Abu Gosh bringen soll, wo sich die Oberen der Klöster der benediktinischen Familie im Heiligen Land treffen werden. Das Treffen wird mit einigen Vorsätzen abgeschlossen:
– es ist gut, wenn sich zumindest die Oberen von Zeit zu Zeit treffen, und sei es nur, um die neuesten Nachrichten über die verschiedenen Gemeinschaften auszutauschen, gemeinsam bestimmte Fragen zu vertiefen, die mit dem Leben der Kirche, der Welt, der Situation im Heiligen Land und anderen zusammenhängen ...
– Gegenseitige Unterstützung bei den jeweiligen Projekten.
– Gegenseitige Unterstützung in der Ausbildung auf allen Ebenen.
– Der Vorschlag, Aufenthalte für Ordensleute zu organisieren, die bereits die Profess abgelegt und etwas Erfahrung im klösterlichen Leben gesammelt haben. Sie könnten zwei oder drei Monate vor Ort verbringen und dabei von Unterricht, Besichtigungen und vor allem von der konkreten Erfahrung vor Ort profitieren. Die Teilnehmer würden aus Europa, aber auch aus Asien, dem französischsprachigen Afrika und Lateinamerika kommen.
Das Treffen schien einen Weg zu eröffnen: Das war das Ziel.
Anschließend fahren wir mit dem Bus zurück nach Jerusalem und mit der Straßenbahn und einem weiteren Bus zum Kloster auf dem Ölberg. Eine lange Expedition.
Montag, 1. Mai
Heute Morgen treffen wir uns mit dem Lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Wir fahren dazu mit dem Bus durch die Stadt und erreichen das Patriarchat. Der Termin war für 9 Uhr angesetzt, aber per E-Mail hatte der Sekretär des Patriarchen darum gebeten, dass wir schon um 8.30 Uhr da sein sollten, was wir übersehen hatten. Wir kommen also zu spät, sodass Bischof Pierbattista Pizaballa uns nicht empfangen kann. Der Kanzler der Diözese steht uns stattdessen zur Verfügung und wir können einige Augenblicke mit ihm diskutieren. Er zeichnet uns ein Bild von der Entwicklung des Ordenslebens seit dem Mittelalter. Vor allem im 19. Jahrhundert, nach einer langen Pause, nahmen die Gründungen zu, hauptsächlich bei den Orden mit apostolischer Ausrichtung. Die so gegründeten Kongregationen wurden durch ausländischen Nachwuchs gespeist. Nur zwei einheimische Kongregationen entwickelten sich und sind bis heute lebendig. Die Klöster ihrerseits erlebten ihre Blütezeit im Zusammenhang mit den Wachstum des Ordenslebens in Europa (vor allem in Frankreich und Deutschland). Doch heute, wo sich die Orden in Europa auf dem Rückzug befinden, sind auch die kontemplativen Gemeinschaften im Heiligen Land schwächer gworden und es gibt viele Fragen zur Zukunft.
Schließlich kann sich der Patriarch für einen Moment zu uns gesellen. Wir erläutern ihm den Zweck unserer Reise ins Heilige Land. Er zeigt sich aufmerksam, fasst seine Position jedoch in zwei Sätzen zusammen: „Das Heilige Land ist nicht Europa, es ist ein Ort der Zerbrechlichkeit, wir brauchen starke und stabile Ordensgemeinschaften. Alles, was in Bezug auf die Zukunft des Ordenslebens in Frankreich diskutiert wird, insbesondere die Zusammenarbeit mit Laien, funktioniert hier nicht und ist belanglos.“ Die Diskussion ist damit an einem toten Punkt angelangt. Wir beenden das Gespräch relativ schnell.
Anschließend fahren wir nach Tabgha an den Ort der Brotvermehrung am See Genesareth. Dort leben Mönche der Dormitio Abtei und philippinische Schwestern der Benediktinerinnenkongregation des Eucharistischen Königs. Sie empfangen uns an ihrem Tisch zum Mittagessen. Wir verbringen eine äußerst angenehme Zeit mit diesen fünf Schwestern, die dort im Dienst der Pilger leben und mit den Mönchen zusammenarbeiten. Der Ort ist besonders stark. Wie viele andere sind wir berührt, am Ufer des Sees entlang zu wandern. Man hat den Eindruck, dass Christus jeden Moment mit seinen Jüngern dort auf dem See auftauchen könnte. Oft habe ich an all diesen heiligen Orten diesen Eindruck: Christus ist da, ich sehe ihn, ich möchte bei ihm sein, bei ihm bleiben, ihn hören, mit seinen Jüngern leben und ihn nicht mehr verlassen.
Nach dem Mittagessen gehen wir zum Pilgerzentrum und treffen Pater Joseph, der uns die Aufgabe der Mönche vor Ort erklärt, in Austausch mit der Dormitio-Abtei in Jerusalem, der die Gemeinschaft untersteht. Der Ort ist wirklich schön gestaltet. In der Kirche befinden sich alte Mosaike, die die Episode der Brotvermehrung illustrieren. Wir sind beeindruckt von der Brüderlichkeit unseres Gesprächspartners, der uns durch das gesamte Haus führt. Alles in perfektem Zustand und schön gestaltet. Wir sind uns der wichtigen Rolle bewusst, die diese beiden Gemeinschaften an diesem so viel besuchten Ort spielen. Je weiter unser Aufenthalt voranschreitet, desto mehr erkennen wir die Notwendigkeit, diese klösterlichen Gemeinschaften im Heiligen Land zu unterstützen. Es wäre schlimm, wenn wir uns nicht solidarisch zeigen würden.
Auf dem Rückweg nach Jerusalem durchqueren wir die beeindruckenden Landschaften der Wüste Juda, Jerichos und vieler anderer Orte.
Dienstag, 2. Mai
An diesem Dienstagmorgen sind wir in den Karmel vom Ölberg eingeladen. Dieser befindet sich ganz in der Nähe des Benediktinerinnenklosters, in dem wir untergebracht sind. Wir feiern eine Messe und besuchen anschließend die Vaterunser-Gedenkstätte, die an das Kloster angrenzt. Es ist der Ort, der der Lehre Christi über das Gebet gewidmet ist, die er den Aposteln gegeben hat, und an dem er ihnen das „Vaterunser“ überliefert hat. Dieses Gebet ist in 170 Sprachen an die Wände geschrieben! Die Kapelle des Klosters ist dieser „Andacht“ gewidmet. Die Anlage erstreckt sich über eine große Fläche und ist Eigentum des französischen Staates, der für die Instandhaltung zuständig ist, auch für die Kapelle, der einige Renovierungsarbeiten und eine minimale Neugestaltung des Innenraums gut tun würde. Die Entscheidung seitens des Staates lässt jedoch auf sich warten und so bleibt alles in der Schwebe. Das Kloster selbst ist dagegen unabhängig und wird von den Nonnen verwaltet.
Wir treffen die Gemeinschaft, die recht groß ist und einige jüngere Schwestern hat. Ich stelle die AIM und ihre Tätigkeit vor. Die Diskussion ist sehr offen und viele Fragen werden gestellt. Ich bin beeindruckt von dem schönen Zeugnis dieser Gemeinschaft, die ihren Platz in der Ortskirche gut behauptet.
Nach dem Mittagessen machen wir uns auf den Weg zum Flughafen. Am letzten Checkpoint werden wir kontrolliert. Einer von uns will aus dem Auto aussteigen, aber sofort werden die Maschinengewehre auf ihn gerichtet, was die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er steigt wieder in den Wagen und wartet geduldig, bis wir grünes Licht bekommen. Dies geschah einige Minuten später.
Wir sind bereit zum Einsteigen, den Kopf und das Herz noch voll von den Eindrücken und Glaubenszeugnissen, die wir in den besuchten Gemeinschaften erhalten durften. Wir haben versucht, die gegenseitigen Verbindungen zwischen den Gemeinschaften zu fördern, wir haben allen so gut wie möglich zugehört. Das war das Ziel unserer Reise: Mission erfüllt!
Reise nach Indien
8
Berichte
Reise nach Indien
11. bis 27. Februar 2023
Sr. Christine Conrath, OSB
Sekretärin der AIM
Anlässlich des Jahrestreffens von ISBF (Indo Sri Lanka Benedictine Federation) reisten Schwester Christine Conrath, Sekretärin der AIM, und Äbtissin Anna Brennan von Stanbrook und Mitglied des internationalen AIM-Teams, nach Indien. Hier einige Eindrücke ihres Aufenthalts.
Samstag 11. – Sonntag 12. Februar
Nach einem ereignislosen Abflug am Flughafen Charles-de-Gaulle in Roissy und einem fast neunstündigen Direktflug nach Delhi kommen wir am Sonntag, dem 12. Februar, um 10.30 Uhr am Flughafen von Delhi an. Wir haben einen fünfstündigen Transitaufenthalt, in dem wir die Visaformalitäten erledigen und unser Gepäck abholen müssen. Anschließend fliegen wir mit dem Flugzeug weiter nach Cochin, wo wir gegen 19.10 Uhr ankommen. Pater Abt Clement Ettaniyil aus Kappadu erwartet uns und wir fahren direkt nach Mariamala, Kottayam, wo die ISBF-Tagung stattfinden soll: zwei Stunden Durchfahrt auf den kleinen Straßen Keralas. Wir kommen gegen 21 Uhr an, um zu Abend zu essen und zu schlafen. Pater Bino Tom Cheriyil, der Obere der Gemeinschaft, händigt uns einen Zeitplan für unseren weiteren Aufenthalt aus. Mehrere Mönche kommen, um uns zu begrü.en, darunter auch Pater James Mylackal, der Präsident der ISBF.
Montag, 13. Februar
Um 6.30 Uhr feiern wir die Laudes und anschließend die Messe. Alles wird hintereinander rezitiert oder gelesen, es gibt kaum Zeit zum Atmen, wir bleiben bei den Psalmdoxologien sitzen – so wird es in allen Gottesdiensten sein. Gefräßige Moskitos und Ventilatoren begleiten unser Gebet. Die Messe wird von Abt Notker Wolf, dem ehemaligen Abtprimas, geleitet, der mit Dr. Gerline Büchinger angereist ist. Seine Begleiterin ist eine bedeutende Wohltäterin für die Klöster in Indien. Anschließend nehmen wir das Frühstück am Ehrentisch ein.
Um 9.30 Uhr wird das ISBF-Treffen eröffnet: Eröffnungsrituale, Anzünden der Öllampe, Reden, Verteilen von Blumen, Geschenken und Schals für jeden. Es gibt immer ein ISBF-Mitglied, das dafür zuständig ist, einen anderen Gast am Mikrofon vorzustellen, und ein anderes, das ihm die Geschenke überreicht. Etwa 60 Personen sind anwesend: Höhere Obere sowie einige Mönche, Nonnen und Schwestern.
Der erste Vortrag wird von einem Nachbarbischof, der früher Vallumbrosaner Mönch war, gehalten und handelt von der Geduld. Danach spricht Abt Notker Wolf: Er sagt, wie sehr in den gegenwärtigen Unruhen in der Kirche wir als Mitglieder dieser Kirche unsere Glaubwürdigkeit verloren haben. Da wir die Kontrolle verloren haben, machen wir uns Sorgen um die Zukunft. Es gibt einen Paradigmenwechsel, zum ersten Mal seit dem Mittelalter. Wie sieht vor diesem Hintergrund der Weg der Inkulturation in Indien aus? Eigentlich obliegt diese Arbeit den Brüdern und Schwestern, die in den Gemeinschaften in Indien verantwortlich sind. Benedikt zeige dabei viel Offenheit. Siehe zum Beispiel das Essen: Man lässt die Wahl zwischen verschiedenen Speisen, damit jeder das findet, was er braucht. Und wenn es nichts gibt, segnen wir Gott. Unser wertvollstes Werkzeug ist die Lectio Divina. Gemäß seiner Erfahrung auf seinen Reisen rund um die Welt stellt Abt Notker fest, dass die Gemeinschaften zwar teils eher kontemplativ und teils eher apostolisch ausgerichtet sind, aber allen spürbar gemeinsam ist, dass sie „benediktinisch“ sind. Die Liebe zum gemeinsamen Gebet ist ein Kriterium für Authentizität. Eine Gemeinschaft ist wie eine Fußballmannschaft: Wir verlassen uns aufeinander und halten zusammen. Es ist eine Schule der Geduld. Der Heilige Geist ist derjenige, der unsere Zukunft lenkt. Dank einer echten Liebe zu unserer Gemeinschaft und dem richtigen Eifer brauchen wir letztlich nichts neu zu organisieren. Was wir vielmehr zuerst brauchen, sind Glaube, Liebe und Zuhören. Unsere Hoffnung hat ihre Wurzeln in einem authentischen Leben. In diesem Sinne sehen wir alles, was Jesus erduldet hat, sogar bis zur Verleugnung durch Petrus. Es liegt nun an uns, ihm auf diesem Weg zu folgen.
Gerlinde Büchinger berichtet dann über ihre Stiftung, die Mädchen im Nordosten hilft, den Menschenhandel unterbindet und häusliche Gewalt bekämpft. Sie setzt sich auch dafür ein, Kindern zu helfen, die auf sich selbst gestellt sind. Sie kam 1997 zum ersten Mal nach Indien. Die Covid19-Pandemie hat das Gesicht der Welt wirklich verändert. Sie drängt darauf, dass die Augen der Menschen für Straßenkinder offen bleiben. Anschließend sehen wir uns die Aufführung der Schule St. Kuriakose an: wunderschöne Tänze, Gesänge, Begrü.ungsrituale...
Am Nachmittag wird AIM vorgestellt. Obwohl es nur wenige Fragen gibt, zeigen die Teilnehmer großes Interesse: Wie bin ich von dem betroffen, was wir gemeinsam repräsentieren? Wie hält das Gefühl, von anderen betroffen zu sein, meinen Geist wach? Warum grenze mich oft ab von der Zerbrechlichkeit meiner Brüder und Schwestern? Isaac von Stella macht uns klar, dass mein Bruder und meine Schwester keine Gegner sind; sie sind eine Hilfe, eine Chance für mich, an meiner eigenen Bekehrung zu arbeiten. Entscheidend ist nicht, was wir in der Benediktinerfamilie an Aktivitäten auf die Beine stellen, sondern wie wir einander kennenlernen und einander näherkommen. Die AIM versucht, die Verbindung zwischen allen Gemeinschaften zu stärken, mit Geduld, wie der Bischof bei der Eröffnung erinnerte, und mit dem hochentwickelten Werkzeug der lectio divina, wie Abt Notker erwähnte. In Westeuropa sind die Gemeinschaften oft alt, die Gemeinschaften im Süden sind die Zukunft unserer Ordensfamilie. Aber mehr als alles andere ist unsere gemeinsame Zukunft Jesus Christus.
Pater Vincent Korandiarkunnel, Prior von Makkiyad, hält einen Vortrag über Synodalität und eröffnet einen schönen Austausch mit dem Zeugnis von Pater Peter Dowe von der Abtei Douai über die synodale Vorbereitung der Wahl ihres neuen Abtes: Das war wirklich Synodalität in Aktion.
Dienstag, 14. Februar
Die Messe wird von Pater Clement Ettaniyil (Kappadu) im syro-malabarischen Ritus geleitet. Mutter Anna Brennan beginnt die Tagung mit einem Vortrag über die päpstliche Richtlinie Cor orans. Sie berichtet über ihre Erfahrungen in ihrem eigenen Kloster und in der englischen Kongregation. Dann spricht Abt Clemens aus Kappadu über Quarantänemaßnahmen im Zusammenhang mit Covid und vergleicht es, wie Benedikt seinerseits die Exkommunikation regelt. Dann folgt die Generalversammlung der ISBF.
Am Nachmittag wird ein Bericht über die Aktivitäten des regionalen DIM-MID vom Oberen von Kumily, Pater John Kaipallimyalil, vorgelegt. Am 7. Dezember 2023 wird der 50. Todestag von Henri Le Saux begangen. Mutter Vandana stellt den Bericht der IPC vor. Dann beginnen die Berichte über die einzelnen Gemeinschaften. Es wird ein Besuch im Kloster der Vallombrosianischen Schwestern vom hl. Johannes Gualbertus organisiert.
Mittwoch, 15. Februar
Pater Vincent Kundukulam, Dozent am Päpstlichen Seminar St. Joseph in Aluva, berichtet über die Arbeit von DIM in Indien. Der interreligiöse Dialog besteht darin, dass religiöse Menschen, die wirklich eine persönliche Kompetenz haben, miteinander teilen, wie sie Gott erfahren. Um einen Dialog zu beginnen, ist es nicht notwendig, die gleiche Vorstellung von Gott zu haben. Der Dialog ist keine Strategie, um andere zu erobern, sondern eine Quelle, um zum Ursprung unseres Glaubens zurückzufinden. Er wendet diese Pädagogik auf die Frage der Inkarnation an, die bei Christen, Hindus oder Muslimen eine ganz andere Realität darstellt. Wie kann man von so unterschiedlichen Sichtweisen ausgehend bis zur Quelle des Glaubens an Gott zurückgehen und diese Erfahrung teilen? Die Vorschläge von Pater Vincent erschienen mir sehr brauchbar.
Am Nachmittag führt ein Bootsausflug die ISBF-Mitglieder in die Kumarakam-Lagune. Es handelt sich um einen riesigen Damm im Meer, der die Gewässer Keralas öffnet oder schließt. Die Tiefe beträgt drei bis fünf Meter. Landschaften von großer Schönheit und eine angenehme geschwisterliche Entspannung.
Donnerstag, 16. Februar
Bei den Vorstandswahlen wird Bruder James Mylackal als Präsident bestätigt; Schatzmeister ist Pater Michael Kannala (Vallombrosianer, Bangalore) und Sekretär Pater Pinto Irudayaraj (Shantivanam); Abt Clement wird die Beziehungen zur AIM pflegen. Die nächste ISBF-Tagung findet vom 4. bis 10. Februar 2024 in Shantivanam statt.
Am Nachmittag fahren wir zum Priorat St. Scholastika der Kongregation Grace and Compassion. Die Schwestern betreiben dort ein Haus für ältere Menschen und eine Palliativstation. Außerdem unterhalten sie ein Gästehaus für Studenten und eine Farm. Anschließend besuchen wir die Schwestern von St. Lioba. Sie bilden eine Gemeinschaft von drei Mitgliedern, die Medizinstudentinnen beherbergen.
Dann die Ankunft in Kappadu zum Abendessen. Erkundung des Ortes und am Abend Treffen mit Teenagern, die einen Online-Deutschkurs besuchen. Ihre Lehrerin ist aus Deutschland angereist, um sie zu ermutigen. Es folgt eine Prüfung und dann ein Aufenthalt in Deutschland. Das Kloster Kappadu ist sehr um die Schüler bemüht und tut auf verschiedene Weise viel für sie.
Freitag, 17. Februar
Der Messe im syro-malabarischen Ritus folgt eine Feier auf dem Friedhof zu Beginn der Fastenzeit. Anschließend machen wir einen Rundgang durch das Kloster. Der Bauernhof umfasst einen Stall mit 63 Kühen, etwa 20 Schweinen, 2.000 Hühnern und 200 Kaninchen. Gekocht wird mit Biogas, das durch Kuhdung erzeugt wird. Es gibt noch eine Fischzucht und eine Gummibaumplantage. In letzter Zeit ist der Preis für Kautschuk um das Dreifache gesunken. Insgesamt gibt es 300 Angestellte in Kappadu; aber die Mönche sind alle bei der Arbeit, die Farm wird komplett von Kandidaten bewirtschaftet.
Um 10 Uhr fahren wir mit dem Auto nach Kurisumala. Wir kommen gerade rechtzeitig zur Mittagshore an, zusammen mit einer Gruppe pensionierter Seminaristen und ihrem Ausbilder. Zum Mittagessen sitzen wir im Kreuzgang auf dem Boden; in der Bibliothek neben dem Kreuzgang waren Hocker für uns vorbereitet worden. Ein nüchternes Essen in Stille. Die Brüder servieren den Gästen Reis mit Soßen, vegetarische Ernährung. Nach dem Essen begrü.en wir die Gemeinschaft. Wir besichtigen die Zelle von Pater Francis Acharya und das gesamte Kloster. Das Trappistenkloster Kurisumala ist inzwischen mit der Abtei Tarrawarra in Australien verbunden.
Samstag, 18. Februar
An diesem Tag, an dem wir den 90. Geburtstag von Pater Anselm Maniakupara, einem der Gründer von Kappadu, feiern, ist auch der emeritierte Abt John Kurichianil anwesend. Wir freuen uns, dass wir uns wiedersehen. Mutter Nirmala Narikunnel, Äbtissin von Shantinilayam, schließt sich uns für einige Tage der Einkehr an. Es sind etwa 300 Gäste anwesend. Am Nachmittag fahren wir über Jeva Jyothi nach Madurai. Wir treffen den emeritierten Bischof, der das Kloster zusammen mit der inzwischen verstorbenen Gründerin Mutter Lily Therese ins Leben gerufen hat. Wir stellen fest, wie zerbrechlich diese Gemeinschaft aus drei Schwestern mit einem Karmeliter-Seelsorger ist. Anschließend erreichen wir das Kloster St. Michael (Viswanathrapuram) der Kongregation von St. Ottilien.
Sonntag, 19. Februar
Wir besichtigen einen der Einsatzbereiche des Klosters, nämlich ein Jungeninternat. Etwa 60 Kinder erhalten hier Vollpension. Die Mönche kümmern sich um die Erziehung dieser Kinder.
Am Vormittag traditioneller Elefantenritt zur „Elephant Junction“, direkt neben dem Kloster, nachdem die im Durchschnitt 2,5 Tonnen schweren Kolosse gebadet wurden. Es handelt sich um weibliche Tiere, die als sanftmütig gelten und keine Stoßzähne haben. Insgesamt gibt es drei von ihnen. Die Elefantenkühe sind zahm und sehr gehorsam gegenüber den Befehlen des Führers: „Stehen, liegen, gehen, stoppen, grü.en“. Das war ein knapp einstündiger Spaziergang!
Wir besuchen das Kloster am späten Vormittag sowie das spirituelle Zentrum. Im Garten kommen nachts wilde Tiere vorbei. Das Kloster liegt am Ende eines Hangs und der Dschungel ist direkt darüber. Im Garten sollen Büffel oder Tiger vorbeikommen, jedenfalls gibt es eine Volière mit Wellensittichen und einen Gemüsegarten. Die Brüder ernten etwa 50 % ihrer landwirtschaftlichen Produktion, der Rest wird von den wilden Tieren gefressen. Wir haben festgestellt, dass alle Blüten der Bananenstauden verschwunden sind, die wohl von Affen gefressen wurden. Mittagessen in Kumily, bevor wir nach Madurai weiterfahren.
Am Abend besichtigen wir Madurai, insbesondere einen prächtigen, 5000 Jahre alten Tempel. Es ist sehr schwierig, die Emotionen an diesem Ort, inmitten dieser indischen Menschenmenge, wiederzugeben. Anschließend bringen uns die Brüder zum Flughafen von Madurai, von wo aus wir nach Bangalore zur Abtei Shanti Nilayam weiterfliegen.
Montag, 20. Februar
Besuch von Shanti Nilayam, dem Garten und dem Weinberg. Ein Arbeiter sagt, dass der Weinberg eingezäunt werden sollte, bevor die Trauben reifen, sonst würden sich die Nachbarn weiterhin bei den Nonnen bedienen... Ein Zaun ist bisher nicht vorhanden. Das Kerzenhaus ist mit veralteten Geräten ausgestattet. Aus recyceltem Wachs stellen Frauen in Not (Witwen, geschlagene Frauen, die ihr Zuhause verlassen haben usw.) Kerzen her, die an die Diözese verkauft oder ihr überlassen werden.
Das Gästehaus ist durch die Überschwemmungen der letzten Jahre unhygienisch geworden. Es müsste abgerissen und ein neues an der Mauer zur Straße hin errichtet werden; ansonsten besteht die Gefahr, dass das Grundstück durch wilde Siedlungen besetzt wird, da sich die Stadt bereits an den Mauern entlang drängt. Bei der Gründung hatten sich die Schwestern auf dem Land niedergelassen, aber durch die Bevölkerungsexplosion des Landes ist die Stadt bis zu ihnen vorgedrungen. Beim abendlichen Treffen tauschen wir uns mit der Gemeinschaft aus. Die Schwestern stehen noch immer in Verbindung mit der Gemeinschaft der Benediktinerinnen von Ryde in England, die zur Gründung von Shanti Nilayam beigetragen hat. Das Kloster in Shanti Nilayam steht also in der Tradition des Mönchtums der Kongregation von Solesmes, ist aber an die indische Kultur angepasst.
Dienstag, 21. Februar, Faschingsdienstag
Heute Morgen besuchen wir die Hostien-Werkstatt. Die Schwestern haben alle ihre Kühe bis auf zwei verkauft. Wegen einer Überschwemmung stand der Stall acht Tage lang unter Wasser und die Kühe wurden krank. Die Schwestern hatten bereits die Hühnerst.lle wegen der Konkurrenz aufgeben müssen (vier Gebäude mit je 2 000 Hühnern). Die Überschwemmung wurde durch das Überlaufen des Abwassergrabens verursacht, der durch all den Müll verstopft ist, der aus den neuen Häusern des Viertels kommt. Das Abwassersystem ist außer Betrieb. Die Regierung nimmt zwar die Beschwerden der Schwestern entgegen und sagt, dass sie etwas unternehmen werde, aber sie tut nichts.
Shanti Nilayam nimmt junge Schwestern aus einer Gründung in Burma (Myanmar) zu ihrer Ausbildung auf. Bei der heutigen Messe erneuerte Schwester Rosa Ciin aus Burma ihre zeitlichen Gelübde für ein Jahr. Die birmanischen Schwestern werden im Sommer gemeinsam die feierliche Profess ablegen und dann nach Burma zurückkehren. Die Gemeinschaft erhält viele Aspirantinnen aus dem Nordosten. Sie sind im Durchschnitt 18 Jahre alt und haben noch kaum Englischkenntnisse.
Wir besuchen auch die Gemeinschaft der Vallombrosianer in Bangalore.
Aschermittwoch, 22. Februar
An diesem Tag bittet mich Mutter Nirmala, der Gemeinschaft einen kurzen Vortrag über das Verlangen in der Benediktsregel zu halten, Verlangen nach Ostern, Verlangen nach Bekehrung und die discretio, die Mutter der Tugenden. Auf den Vortrag folgt die Verteilung der Fastenbücher. Jede Schwester hat ein Buch aus der Bibliothek ausgewählt; die Äbtissin liest den Titel des ausgewählten Buches vor, bevor sie es den Schwestern überreicht.
Schwester Asha Thayyil (ihr Name bedeutet „Hoffnung“ auf Hindi), die neue Generaloberin der Schwestern von St. Lioba, die mit mir von Bangalore nach Bhopal reisen wird, schließt sich uns an. Die Schwestern von St. Lioba machen während ihrer Ausbildung oft Exerzitien in Shanti Nilayam. Am Abend haben wir eine entspannte Zeit in der Gemeinschaft mit einigen kleinen Animationen, die vom Noviziat angeboten werden.
Donnerstag, 23. Februar
Wir fahren um 5 Uhr nach Bhopal und kommen am Vormittag im Kloster der Schwestern der heiligen Lioba an. Wir besuchen das Krankenhaus (Dev Mata Hospital) mit Schwester Betty, einer Ärztin, die ihre Ausbildung in Deutschland absolviert hat. Ein Flügel des Krankenhauses wird „der Vatikan“ genannt, da dort viele Priester, Ordensleute und Nonnen behandelt werden. Die Christen sind in dieser Region nicht in der Minderheit.
Nach dem Mittagessen fahren wir zur Misrod-Gemeinde, die ein Frauenhaus für Prostituierte betreibt. Sie sind oft behindert, von der Familie und allen anderen verstoßen. Insgesamt sind hier 37 Frauen untergebracht, obwohl das Haus nur eine Kapazität für 30 Personen hat. Und die Polizei bringt immer wieder Frauen zu den Nonnen. Die Bewohnerinnen haben einige Feierlichkeiten zu unseren Ehren vorbereitet. Es folgt ein spannender Austausch mit den Schwestern dieser Gemeinschaft. Gewaltsamerfahrungen sind zu Beginn des Aufenthalts dieser vom Leben so verletzten Menschen keine Seltenheit.
Anschließend lernen wir die Umgebung dieses Ortes kennen: Wir besuchen das Stammesmuseum Indiens, eine sehr schöne Errungenschaft, die viele Menschen anzieht. Dann machen wir eine Bootsfahrt durch die Stadt, die den Namen „Bhopal City of Lakes“ trägt. Die Schwestern planen, eine Missionsstation am Ufer des Sees zu errichten, was mich zum Träumen bringt! Nach der Rückkehr in die Gemeinschaft gibt es nach dem Abendessen eine kleine Show, die von den Kandidatinnen und den jungen Schwestern dargeboten wird und traditionelle Tänze im Zusammenhang mit der Erntezeit beinhaltet.
Freitag, 24. Februar
Pater Antony Dhande, Oberer von Shivpuri, hat sich zu uns gesellt. Wir frühstücken mit ihm und dem Team des Krankenhauses, das an die Gemeinschaft angrenzt. Anschließend fahren wir mit dem Auto nach Sanchi, einem buddhistischen Zentrum, das zum UNESCOWeltkulturerbe gehört. Auf dem Weg dorthin überqueren wir den Wendekreis des Krebses.
Nach dem Mittagessen nehmen wir den Zug nach Shivpuri. Das ist ein Erlebnis! Der Bahnhof ist überfüllt mit Menschen. Wir bekommen einen Platz in der komfortabelsten Klasse, in der die Waggons klimatisiert sind. Das ist unbestreitbar angenehmer als das Flugzeug! Bei der Ankunft erwartet uns Bruder Shivprakash, der uns zum Priorat von Jeevan Jiothi (Life and Light, Shivpuri) bringt. Um 21.30 Uhr werden wir mit einer sehr gepflegten Zeremonie begrü.t, Musik und Gesang, die von den Kandidaten vorgetragen werden.
Samstag, 25. Februar
Am Morgen feiern wir die Messe im Kloster der drei Schwestern von „Unsere Liebe Frau vom Garten“, direkt auf dem Schulhof. Das baufällige Haus versinkt inzwischen im Erdboden. Die Kapelle ist baufällig, die Wände sind rissig. Gemäß dem Antrag der Schwestern, über den wir im Vorstand der AIM abgestimmt haben, soll hier ein neues Gebäude errichtet werden. Ich verbringe einen traumhaften Vormittag mit den Kindern der Schule, und als erstes gibt es eine Aufführung! Vorhang auf für ein Gebet, dann Tanz mit der indischen Flagge, Yogavorführung und schließlich die Nationalhymne. An diesem Tag legen die Kinder in der Grundschule ihre Prüfungen ab, während die älteren Kinder ihr Schuljahr beendet haben.
Wir fahren nach Chattry, wo sich ein buddhistischer Tempel aus weißem Marmor und Edelsteinintarsien befindet. Ein Schmuckstück, genauso schön wie das Taj Mahal, für dessen Besichtigung wir keine Zeit haben. Wir machen einen Ausflug in die alte Stadt Shivpuri und besichtigen den Skit-Tempel.
Nach dem Mittagessen treffem wir uns mit den beiden Schwesterngemeinschaften, die mit den Brüdern zusammenarbeiten. Die Ursulinengemeinschaft betreibt eine kleine Schule. Ihre Situation ist sehr prekär, nachdem die Regierung ihre Krankenstation geschlossen hat. Um 18 Uhr kehren wir zur Schule zurück, um eine Unterkunft für zwei Familien einzuweihen und zu segnen. Anschließend geht es wieder zum Kloster, um die Vesper zu beten, gefolgt vom Rosenkranz und der Anbetung des Allerheiligsten Sakraments.
Sonntag, 26. Februar
Nach dem Morgengottesdienst und dem Frühstück geht es sehr schnell in die Pfarrei, wo um 8.30 Uhr die Messe stattfindet. Die Gläubigen treffen bereits um 8 Uhr ein und beten den Rosenkranz mit den jungen Kandidatinnen, die zwischen 17 und 23 Jahre alt sind. Es handelt sich um acht sehr entschlossene junge Mädchen. Die Messe wird auf Hindi im römischen Ritus gefeiert. Im Anschluss werden wir von der Gemeinschaft begrü.t. Ich werde gebeten, ein paar Worte an die Gemeinschaft zu richten. Die junge Frau, die übersetzt, ist eine der indischen Delegierten für den Weltjugendtag; sie bereitet sich gerade auf die Reise nach Lissabon vor. Als wir aus der Kirche kommen, begrü.en uns viele Leute. Immer wieder werde ich gefragt: „Was halten Sie von Indien?“
Wir fahren mit dem Zug nach Delhi. Dort werden wir in der Indischen Bischofskonferenz empfangen, bei der Pater Jervis C. D’Souza, ein Freund von Pater Anthony, tätig ist. Abendessen gegen 22 Uhr, was in Indien normal ist. Wir erfahren, dass Felix Machado da ist, ein emeritierter Bischof von Bombay, der sich sehr aktiv für den interreligiösen Dialog einsetzt und sechs Jahre in Frankreich verbracht hat.
Montag, 27. Februar
Messe mit Bischof Felix Machado, anschließend Frühstück und reger Austausch. Er erkundigt sich nach Neuigkeiten von Pater Pierre de Béthune (Clerlande), Pater Benoît Billot. Was wird aus dem französischsprachigen DIM seit dem Tod von Schwester Marie-Bruno aus Lüttich? Aber wir müssen zum Flughafen aufbrechen!
Am Flughafen treffe ich auf ein Korps von UN-Soldaten, die zu einer sechsmonatigen Mission in den Kongo aufbrechen, wo sie ein wenig Frieden stiften sollen ...
Friedliche Rückreise mit so vielen Erinnerungen, einer großen Anzahl von Fotos und Videos, um sie mit anderen zu teilen und unsere Mediathek und das Archiv der AIM zu bereichern! Meine Dankbarkeit gilt allen monastischen Gemeinschaften, denen ich auf dieser wunderbaren Reise begegnet bin.